Frankfurter Buchmesse Diebe der Wirklichkeit

Bonn · „Die Niederländer/Flamen kommen“: Arnon Grünberg, Saskia de Coster und Fikry El Azzouzi lesen und diskutieren auf Einladung des Bonner Literaturhauses in der Bundeskunsthalle.

 Literarisches Sextett: (von links) Gregor Seferens, Fikry El Azzonzi, Saskia de Coster, Arnon Grünberg, Tatjana Pasztor und Bundeskundsthallenchef Rein Wolfs.

Literarisches Sextett: (von links) Gregor Seferens, Fikry El Azzonzi, Saskia de Coster, Arnon Grünberg, Tatjana Pasztor und Bundeskundsthallenchef Rein Wolfs.

Foto: Benjamin Westhoff

In diesem Jahr erscheinen 250 niederländische Titel auf dem deutschen Buchmarkt – aus den Sparten Belletristik, Sachbuch, Kinder- und Jugendbuch sowie Poesie. „Eine neue Rekordmarke“, stellte David Eisermann, Vorsitzender des Bonner Literaturhauses, bei der Begrüßung im Forum der Bundeskunsthalle anerkennend fest. Traditionsgemäß hatte das Literaturhaus Autoren aus dem Gastland der Frankfurter Buchmesse am Vorabend der Eröffnung an die Bonner Museumsmeile eingeladen.

Die Niederlande beziehungsweise Flandern waren bereits 1993 Gastland in Frankfurt. Den Abend unter dem Motto „Die Niederländer/Flamen kommen“ moderierte der renommierte Übersetzer Gregor Seferens, derzeit ein besonders gefragter Experte für die niederländische Literatur. Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle, sagte im Auftaktgespräch bezogen auf das Verhältnis Niederlande und Flandern: „Die Literaturen liegen noch relativ weit auseinander. Früher wurde die flämische Sprache sehr betont und sogar manchmal fetischisiert. In den letzten Jahren wachsen die beiden Literaturen aber mehr zusammen.“

Saskia de Coster, 1976 im belgischen Löwen geborene Schriftstellerin, erklärte: „Die Sprache mag dieselbe sein, aber wir haben in Flandern eine andere Kolonialgeschichte und die Flamen haben auch den Zweiten Weltkrieg anders erlebt als die Niederländer.“

De Costers aktuelles Buch „Wir und ich“ ist eine bitterböse Gesellschaftssatire, die in der flämischen Oberschicht spielt. Auf Seferens' Frage nach Parallelen zu ihrer eigenen Biografie sagte die Autorin: „Schriftsteller sind immer Diebe der Wirklichkeit, und ich hatte 18 Jahre Zeit, um für meinen Roman zu recherchieren.“ Fikry El Azzouzi wurde 1978 als Kind marokkanischer Einwanderer im belgischen Temse geboren und lebt heute in Antwerpen.

In seinem Drama „Wir da draußen“ fertigt er das Porträt von Ayoub, der erst in die Kriminalität abrutscht und sich später in der dschihadistischen Bewegung radikalisiert. El Azzouzi greift dabei zu einer für dieses Milieu realistischen Sprache, nahe am Exploitation-Stil. Die marokkanische Gemeinde in Flandern reagiere „überwiegend positiv“ auf seinen Roman, sagte er.

Kritik sei bloß von extremen Muslimen gekommen. Mit Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, war schließlich der diesjährige Eröffnungsredner der Frankfurter Buchmesse zu Gast in der Bundeskunsthalle, um seine skurrile Mutter-Sohn-Geschichte „Muttermale“ vorzustellen. Grünberg zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern seines Landes, gründete schon im Alter von 19 Jahren seinen eigenen Verlag, lebt seit 1995 in New York und verfasst seit 2010 täglich eine Kolumne für den „Volkskrant“. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.

„Es ist das erste Mal, dass ich in Bonn ohne Karin Hempel-Soos lese“, sagte Grünberg nachdenklich. „Sie war ohne Konkurrenz die interessanteste und vielleicht auch komplizierteste Gastgeberin, die ich je hatte.“ Die drei Romane des Abends sind allesamt Milieustudien. „Die Holländer pflegen die Illusion, dass sie eine klassenlose Gesellschaft sind“, meinte Grünberg. „Aber das stimmt nicht.“

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