ARD-Kultserie Die "Lindenstraße" wird eingestellt

Köln · Etwa acht Millionen Euro kostet die „Lindenstraße“ pro Jahr. Den Entscheidungsträgern der ARD ist das zu teuer: Die Kultserie verschwindet im März 2020 nach fast 35 Jahren vom Bildschirm. Die Macher haben dafür kein Verständnis.

Ein Bild aus frühen „Lindenstraßen“-Tagen (Archivbild von 1986): Helga Beimer (Marie-Luise Marjan, hinten rechts) mit ihrem ersten Mann Hans (Joachim Hermann Luger, l) und ihren Kindern (l-r) Marion (Ina Bleiweiß), Benny (Christian Kahrmann) und Klausi (Moritz A. Sachs).

Ein Bild aus frühen „Lindenstraßen“-Tagen (Archivbild von 1986): Helga Beimer (Marie-Luise Marjan, hinten rechts) mit ihrem ersten Mann Hans (Joachim Hermann Luger, l) und ihren Kindern (l-r) Marion (Ina Bleiweiß), Benny (Christian Kahrmann) und Klausi (Moritz A. Sachs).

Foto: Fotoreport WDR/WDR/dpa

Die Gerüchte gab es seit Jahren, nun macht die ARD tatsächlich ernst: Die Dauerserie „Lindenstraße“ wird eingestellt. Nach fast 35 Jahren wird die letzte Folge im März 2020 im Ersten ausgestrahlt. ARD-Programmdirektor Volker Herres verwies auf gesunkene Einschaltquoten, machte aber zugleich kein Hehl daraus, dass die Kultserie auch Sparzwängen zum Opfer fällt. WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn äußerte Verständnis dafür, dass Produktionen mit Blick auf geänderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen „neu bewertet werden müssen“.

Ist es mehr als nur ein bitterer Zufall, dass die Nachricht zwei Monate nach dem Serientod der zentralen Figur des Hans Beimer kommt? Am 2. September war „Hansemann“ mit Blick auf den Sonnenuntergang sanft entschlafen. Schauspieler Joachim H. Luger hatte die Rolle seit der ersten Folge im Dezember 1985 verkörpert. Er stieg aus, weil er sich verstärkt dem Theater und seinem Privatleben widmen will. Viele Fans waren der Ansicht, dass die Serie mit dem Verlust dieser Figur nicht mehr dieselbe sein kann.

2,84 Millionen Zuschauer verfolgten Hans Beimers Abschied im Ersten - eine gute Quote, stellt man in Rechnung, dass üblicherweise kaum mehr als zwei Millionen Menschen dabei sind, wenn am Sonntag um 18.50 Uhr die dramatische Titelmelodie erklingt. In ihrer Frühzeit lockte die vom WDR verantwortete Serie mehr als zehn Millionen Zuschauer an, was auch an den Spannung erzeugenden „Cliffhangern“ am Ende jeder Folge lag.

Die „Lindenstraße“ hatte immer den Anspruch, bundesrepublikanisches Leben authentisch darzustellen. Im Mikrokosmos der fiktiven Straße spielen sich sämtliche großen und kleinen Dramen ab: Hochzeit und Scheidung, Geburt und Tod, Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit, Ehebruch, Vatermord, Verwerfungen durch Krieg und politischen Extremismus. Dass zuweilen auf recht steife Weise versucht wird, zum Nachdenken über aktuelle politische Themen anzuregen, ruft freilich immer wieder Spötter auf den Plan, die von „Sozialkitsch“ sprechen.

Der Erfinder und Produzent der Serie, Hans W. Geißendörfer, hat vor einigen Jahren seine Tochter Hana an Bord geholt, die inzwischen hauptverantwortlich für die „Lindenstraße“ ist. Das merkt man den Drehbüchern deutlich an: Im Mittelpunkt steht nun die Altersgruppe der 25- bis 40-Jährigen. Klaus Beimer und Co. haben ganz andere Probleme als Vater Hans und Mutter Helga, die mit ihrer Generation lange die Serie dominierten. Auch der Look wurde frischer, es gab häufiger Musik und mehr Szenen außerhalb des „Lindenstraßen“-Häuserensembles, das eine Münchner Straße zeigen soll, in Wirklichkeit aber auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd steht.

Zudem setzte die „Lindenstraße“ auf besondere Events, etwa die live gespielte Folge zum Tod der Serienfigur Erich Schiller vor drei Jahren. Hans Beimers Abschied wurde im September live vom WDR-Funkhausorchester begleitet. Die vielen Ideen und Veränderungen haben sich aber am Ende nicht ausgezahlt: Die Fernsehprogrammkonferenz der ARD entschied sich „mehrheitlich“ gegen eine Verlängerung des Produktionsvertrages, wie der Sendeverbund mitteilte.

Programmdirektor Herres sagte, die „Lindenstraße“ habe „Akzente gesetzt, die prägend bleiben werden - ein Verdienst engagierter, leidenschaftlicher Macher“. Hans und Hana Geißendörfer kritisierten die Entscheidung der ARD indes scharf. Die Serie stehe für „politisches und soziales Engagement, für Meinungsfreiheit, Demokratie, gleiche Rechte für alle und Integration“, erklärten sie. Es sei unverständlich, „dass die ARD es offenbar nicht mehr als ihren Auftrag sieht, die Serie fortzusetzen, zu deren Kern es gehört, diese Haltung zu vertreten“.

Ob die Sparzwang-Begründung der Sender-Hierarchen alle Zuschauer überzeugt, darf bezweifelt werden. Brancheninformationen zufolge kostet eine Folge „Lindenstraße“ knapp 190.000 Euro, aufs Jahr gerechnet wären dies etwa acht Millionen Euro. Für Sportrechte gibt die ARD hingegen 250 Millionen Euro im Jahr aus - die Gesamtsumme für die Sportberichterstattung im Ersten, in den Dritten Programmen und in den Digitalkanälen lag 2014 und 2015 sogar bei je 366 Millionen Euro.

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