Aretha Franklin 75 Die Aristokratin des Soul

Bonn · Die wunderbare Aretha Franklin wird 75 und geht ein allerletztes Mal ins Aufnahmestudio. Zu Barack Obamas Amtseinführung 2009 sang sang für ihn vor zwei Millionen Menschen am Kapitol

 Tränen in den Augen: Aretha Franklin singt bei Barack Obamas Labor-Day-Veranstaltung 2011 in Detroit, Michigan.

Tränen in den Augen: Aretha Franklin singt bei Barack Obamas Labor-Day-Veranstaltung 2011 in Detroit, Michigan.

Foto: epd

Über Aretha Franklin zu reden, heißt vor allem, über Respekt zu reden. Nicht den herkömmlichen. Eine erfreuliche Geisteshaltung, die würdigt, was Mitmenschen zustande gebracht haben. Sondern den besonderen, der sich in Großbuchstaben und mit Bindestrichen schreibt. 50 Jahre ist es her, dass Aretha Franklin sich das an sich harmlose Lied „R-E-S-P-E-C-T“ des großen Otis Redding angeeignet hat: Ein etwas selbstgerechter Ehemann jammert nach Besserbehandlung durch seine Ehefrau. Nicht mit Aretha! Sie stellte den Song im Sinne früher Emanzipation vom Kopf auf die Füße und machte ihn mit ihrer spirituellen Stimme nicht nur zu ihrem musikgenetischen Fingerabdruck. Sondern auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung um Dr. Martin Luther King auch zur inoffiziellen Nationalhymne im schwarzen Amerika.

Heute, zum 75. Geburtstag, verbeugen sich Millionen Bewunderer vor der in Memphis geborenen und in Detroit sesshaft gewordenen Aristokratin des Soul, die gerade zusammen mit Stevie Wonder, Jamie Foxx und Enkelin Victorie (17) ein allerletztes Mal ihre Jahrhunderttalente ins Aufnahmestudio trägt. Ebendort, genauer: in den sagenumwobenen „Fame“-Studios in Muscle Shoals im Bundesstaat Alabama, legte die Tochter des Baptistenpredigers Clarence Franklin 1967 mit „I Never Loved a Man The Way I Loved You“ das zwischen Lust und Erlösungssehnsucht angesiedelte Fundament für eine Karriere, die ihr an die 40 Top-Ten-Hits, 18 Grammys und tonnenweise Bewunderung einbringen sollte. Passend zum Text prügelten sich Studio-Boss Rick Hall und Franklins Ehemann Nr. 1, Ted White, wie die Kesselflicker.

Vorangegangen war dem Durchbruch eine Dürreperiode, in der Franklin mit belanglosen Liedchen zum Popsternchen heruntergedimmt werden sollte. Erst Jerry Wexler, Chef des Platten-Labels Atlantic, erkannte, dass man die Klaviervirtuosin nicht einhegen darf. Nur befreit von kompositorischen Korsetten und überzuckerten Arrangements konnte sich die Naturgewalt entfalten, die noch heute vielen Wasser-Hochstände in die Augen treibt. Zum Beispiel Barack Obama. Zur Amtseinführung 2009 sang Franklin für ihn vor zwei Millionen Menschen am Kapitol. Vor zwei Jahren verdrückte der frühere Präsident im Kennedy-Center von Washington eine Träne, als die zeitlebens unter Lampenfieber, Essstörungen und Flugangst leidende Diva ihren Pelzmantel wie einen Kokon abwarf und live einen Rohdiamanten veredelte. „You Make Me Feel Like (A Natural Woman)“ stammt aus der Feder von Carole King. Aber erst Aretha Franklin machte aus dem Stück jene Hymne an die Weiblichkeit, an deren Ausdruckskraft sich jede Soulproduktion messen muss.

Sich mit jeder Faser einzubringen in einen Song, sinnlich-gedämpft in den Tiefen, ekstatisch und makellos klar in den Höhen, war Franklin von Kindesbeinen an vertraut. Sie sang in der Kirche und in der Gospel-Show ihres umtriebigen Vaters. Bekannte Größen wie Ray Charles, Sam Cooke und Mahalia Jackson gingen bei den Franklins ein und aus. Ob Whitney Houston, Alicia Keys, Chaka Khan, Donna Summer oder Lauryn Hill, sie alle standen oder stehen in den großen Schuhen einer Frau, die ihren Ausnahme-Status bis heute mit einer sympathischen Selbstverständlichkeit lebt. Trotz aller Schicksalsschläge. Als junges Mädchen musste sie den Tod der Mutter verkraften. Mit 15 hatte sie selbst bereits zweimal entbunden. Zwei weitere Kinder, zwei Ehen, Liebschaften und der Alkohol kamen dazu. Später erkrankte sie an Krebs. Und besiegte ihn.

Franklin hat das Genre der Cover-Königin neu vermessen. Nirgends klingen ihre Kopien wie Kopien. Immer wurde das Basismaterial (selbst by Sinatras „My Way“) erst dekonstruiert, um dann neu zusammengesetzt zu werden.

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