Theaterregisseur in russischer Haft Absurdes Theater um Kirill Serebrennikow

Moskau · Russische Intellektuelle reagieren mit Unverständnis auf die Inhaftierung des Regisseurs Kiril Serebrennikow, dem die Behörden Veruntreueung von staatlichen Geldern vorwerfen. In Stuttgart sollte er "Hänsel und Gretel" inszenieren.

 Unter Verdacht: Der Regisseur Kirill Serebrennikow wurde in Russland verhaftet.

Unter Verdacht: Der Regisseur Kirill Serebrennikow wurde in Russland verhaftet.

Foto: dpa

Zurzeit wird Kirill Serebrennikow noch im Moskauer Ermittlungskomitee verhört. Morgen soll ein Untersuchungsrichter entscheiden, ob der Regisseur danach in Untersuchungshaft oder Hausarrest kommt oder vorläufig wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Laut der Agentur Interfax beharrt Serebrennikow weiter auf seiner Unschuld.

Seine Festnahme rief in Moskau vor allem Unverständnis hervor. „Nicht zu begreifen, warum man so brutal mit ihm verfährt“, sagte der Publizist Nikolai Swanidse, Mitglied des Präsidialrates für Menschenrechte, der Agentur Interfax: „Ist er etwa ein Vergewaltiger, ein Serienmörder, gefährlich für die Gesellschaft? Warum muss man ihn festnehmen? Er ist ein absolut gesetzestreuer Bürger, neigt weder zu Flucht noch zu Gewalt.“

Regisseur soll 68 Millionen Rubel gestohlen haben

Dabei glaubt außer den Ermittlungsorganen kaum jemand dem Vorwurf des russischen Ermittlungskomitees, Serebrennikow hätte als Chef der Produktionsfirma „Siebtes Studio“ mit einigen engen Mitarbeitern 68 Millionen Rubel Steuergelder gestohlen, umgerechnet eine knappe Million Euro. Die Summe war für das Theaterprojekt „Platform“ bewilligt worden. Serebrennikow selbst beteuert, er habe „Platform“ mit diesen Geldern vollständig realisiert.

Das liberale Fernseh-Portal TV Doschd titelt „Schauterror“, der Oppositionspolitiker Aleksei Nawalny redet von einer „Schaufestnahme“. „Damit soll hauptsächlich erreicht werden, dass die übrigen ,Meister der Kultur’ sich keine Frechheiten gegenüber der Staatsmacht herausnehmen. Sondern dass sie sich schnell als Vertrauensleute Putins einschreiben lassen. Es stehen ja Wahlen vor der Tür.“

Die Menschenrechtlerin Olga Romanowa bezeichnet Serebrennikows Festnahme als Unvermeidlichkeit. Aber das habe nichts mit dem Fall selbst zu tun. Die Organe wollten beweisen, dass Wladimir Putin Unrecht hatte, als er die Ermittler im Fall Serebrennikow im Staatsfernsehen scherzhaft als „Deppen“ bezeichnet hatte. „Unser Putin ist kollektiv, und das Ermittlungskomitee wird nun alles tun um zu beweisen: Wir sind keine Deppen.“

Serebrennikow drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis

Dafür braucht es einen Schuldspruch. Und Serebrennikow drohen nun wegen „Betrug in besonders großem Umfang“ bis zu zehn Jahre Gefängnis. Zum Verhängnis könnte ihm Nina Maslajewa werden, die ehemalige Buchhalterin des „Siebtes Studio“. Sie war schon im Mai festgenommen worden, hatte sich auf eine vorgerichtliche Einigung mit der Staatsanwaltschaft eingelassen und sagt nun als deren „Kronzeuge“ aus: Sie habe auf Anweisung Serebrennikows falsche Einträge in der Finanzbuchhaltung getätigt.

Und Serebrennikow habe das Projekt schon mit dem Vorsatz gestartet, Staatsgelder zu stehlen. „Es war ein Fehler, Nina Maslajewa damals nicht sofort juristische Hilfe zu leisten“, klagt die Romanowa.

Es herrscht Ratlosigkeit, wie man Serebrennikow aus den Mühlen der russischen Justiz retten kann. Und viele Vertreter der russischen Intelligenzija vergleichen seinen Fall mit der Verfolgung sowjetischer Künstler. „Den Regisseur Meierhold hat damals nicht das NKWD verhaftet, sondern Stalin“, bloggt der Schriftsteller Boris Akunin. „Den Regisseur Serebrennikow hat nicht das Ermittlungskomitee verhaftet, sondern Putin.“

Bürokratie nimmt Einfluss auf Inhalte

In Russland leben fast alle Theater von staatlichem Geld; und es ist schwierig, mit einer sauberen Buchführung dazustehen. Also kann man auch fast jedem Direktor etwas anhängen. Der Intendant des Theaters Satirikon, Konstantin Raikin, schlug 2016 Alarm, weil die Bürokratie immer mehr Einfluss auf Inhalte fordere. Es drohe eine neue Zensur.

Bei Serebrennikow geht es um die Abrechnung eines Theaterprojekts von 2011 bis 2014. Er selbst stellt die Vorwürfe als absurdes Theater dar. „Wir brauchen Hilfe in einer absurden, schizophrenen Situation“, schrieb er. Zuschauer sollten bitte bezeugen, dass sie seine Version von William Shakespeares „Sommernachtstraum“ gesehen hätten. „Die Ermittler sagen uns, dass es das nicht gibt und nie gegeben hat.“

Serebrennikow gilt als so vielseitig wie kein anderer russischer Künstler. Die Staatsoper Stuttgart, für die er ungeachtet der Untreue-Ermittlungen bis zu seiner Festnahme eine Neuinszenierung von „Hänsel und Gretel“ vorbereitete, sieht ihn als Regisseur von Weltrang. Die Premiere war für den 22. Oktober geplant. (ga/dpa)

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