"Terror - Ihr Urteil" in der ARD ARD-Zuschauer votieren für Freispruch

BONN · Millionen Zuschauer haben entscheiden, ob ein deutscher Bundeswehr-Pilot ein Volksheld oder 164-facher Mörder ist. Das Urteil fiel deutlich aus.

„Der Angeklagte wird freigesprochen“, verkündet der Richter (Burkhart Klaußner) am Ende das Urteil im Namen des Volkes. Eines Volkes, das von den heimatlichen Fernsehsesseln aus abgestimmt hat, sich für oder gegen den Freispruch des Kampfpiloten Lars Koch (Florian David Fitz) aussprach, der eigenmächtig und um die Folgen seiner Tat wissend ein Flugzeug mit 164 Passagieren abgeschossen hat, bevor es in ein mit 70.000 Menschen besetztes Stadion krachen konnte.

Das kleinere Übel, so seine Argumentation in Ferdinand von Schirachs Stück „Terror“, das am Montagabend in der ARD ausgestrahlt wurde. Doch rechtfertigt das die Tat? Das Volk gibt mit 86,9 Prozent eine klare Antwort – und sagt eine Menge über das Verhältnis zu unserem eigenen Rechtssystem aus.

Es ist Regisseur Lars Kraume hoch anzurechnen, dass er sich der Implikationen seiner Inszenierung nur allzu bewusst zu sein scheint. Bis auf wenige unnötige Einstellungen verzichtet er auf den sonst üblichen Pathos eines Gerichtsdramas, legt stattdessen großen Wert auf strenge Sachlichkeit sowie auf eine schauspielerische, argumentative und kameratechnische Balance. Kochs Verteidiger (Lars Eidinger) und die Staatsanwältin (Martina Gedeck) argumentieren geschickt und ausgewogen, wägen Prinzip und Einzelfall mit klugen Positionen gegeneinander ab.

Von einer Beeinflussung des Publikums, die die beiden ehemaligen FDP-Bundestagsabgeordneten und Juristen Burkhard Hirsch und Gerhart Baum dem Stück im Vorfeld unterstellten, kann somit eigentlich keine Rede sein. Recht haben sie dagegen mit einer grundlegenderen Kritik: Bei Schirach muss man sich entweder für den Piloten oder für die Verfassung entscheiden. Denn rein rechtlich besteht kein Zweifel daran, dass Koch in diesem fiktiven Fall wissentlich und willentlich den Tod von 164 Menschen verursacht hat.

Das ist Mord, und somit hebeln all jene, die für einen Freispruch plädieren, in gewisser Weise Artikel 1 des Grundgesetzes aus. So nachvollziehbar Kochs Entscheidung im Stück auch sein mag, sie ist eben nicht legal – auch wenn die Menschen im Stadion ihm wahrscheinlich dafür danken, dass er diese Schuld auf sich genommen hat. Doch genau da liegt das Problem: Es geht gar nicht um eine juristische Frage, obwohl die Szenerie des Gerichtssaals dies impliziert. Sondern um eine moralische.

„Formal ist Koch ein Mörder“

Immerhin lässt die ARD das Votum des Publikums nicht unkommentiert. In der Talkrunde von „Hart aber Fair“, die schon während der fünfminütigen Abstimmung begann und damit einer Manipulation des Ergebnisses näher rückt als der gesamte Film zuvor, diskutierte Frank Plasberg den Fall, unter anderem mit Gerhart Baum. „Formal ist Koch ein Mörder“, sagt dieser.

„Die Frage ist, wie man den Täter dann beurteilt.“ Der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung griff dagegen wie schon bei dem Luftsicherungsgesetz von 2005 zum übergeordneten Notstand und stellte klar, dass „in einer solchen Extremsituation die Chance ergriffen werden muss, zumindest die Menschen im Stadion zu retten.“

Klar dürfte sein: Diese öffentliche Debatte mit all ihrem Für und Wider tut gut. Denn da das Votum des Publikums höchstselbst in Frage gestellt wird und die juristischen, sozialen und moralischen Implikationen somit jeden Zuschauer ansprechen, kann ein besseres Bewusstsein für derartige Entscheidungen entstehen. Mehr kann sich die ARD gar nicht wünschen.

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