Deutscher als jeder Deutsche? „Zeit“-Literaturchef Ijoma Mangold blickt zurück

Bonn · Wenn ein „Mischlings“-Kind im Deutschland der 90er Jahre plötzlich Post von seinem verschollenen Vater bekommt: Der „Zeit“-Literaturchef Ijoma Mangold betrachtet sein Leben.

 Dunkle Haut und (wenn nicht gerade abrasiert) krauses Haar: Ijoma Mangold ist einer jener Deutschen, über deren Aussehen gewisse Parteien erst rüpelhafte Tweets absetzen und hinterher behaupten, sie hätten das alles ja gar nicht so gemeint – obwohl er mehr deutsche Kultur besitzt als manche Führungsvertreter dieser gewissen Parteien zusammen.

Dunkle Haut und (wenn nicht gerade abrasiert) krauses Haar: Ijoma Mangold ist einer jener Deutschen, über deren Aussehen gewisse Parteien erst rüpelhafte Tweets absetzen und hinterher behaupten, sie hätten das alles ja gar nicht so gemeint – obwohl er mehr deutsche Kultur besitzt als manche Führungsvertreter dieser gewissen Parteien zusammen.

Foto: picture-alliance/ dpa

Nach diesem Brief aus Afrika ist nichts mehr, wie es war. „Nie hatte ich über meinen Vater nachgedacht. Er war, hätte ich damals behauptet, noch nicht einmal eine Leerstelle“, schreibt der Literaturkritiker Ijoma Mangold im Rückblick. Es ist seine eigene Lebensgeschichte als Sohn einer alleinerziehenden deutschen Mutter, der ein klein wenig anders aussieht als andere.

Doch womit falle man mehr aus dem Rahmen, fragt sich der Autor: mit einer dunklen Haut – oder doch eher mit einer Leidenschaft für Thomas Mann und Richard Wagner? Den Gedanken einer klassischen Vatersuche habe er zumindest nie gehabt und mit einer Sohnessuche nie gerechnet – bis er also diesen handschriftlichen Brief eines Fremden in der Hand hielt.

„Was sollte schon passieren, dass sich nach 22 Jahren an der Ordnung der Dinge noch etwas änderte?“, überlegt der 1971 Geborene – und weiß doch, dass mit diesem Lebenszeichen eines Mannes aus Nigeria etwas Neues beginnen würde, ohne dass er danach verlangt hätte. Der Vater wird real, um den sich bislang nur bunte Familienlegenden des Inhalts rankten, er habe sich in Deutschland als Facharzt ausbilden lassen, dann aber nach kurzer Zeit dem Ruf des Clans nach Afrika folgen und eine neue Familie gründen müssen.

Der bislang ewig blinde Fleck der Herkunft Mangolds bekommt Farbe. Nun wird er sich nach 22 Lebensjahren also allem stellen müssen: der besonderen Eigenart seines Vornamens, seinen krausen Haaren und dem pechschwarzen Ebenholz-Krokodil im Wohnzimmer seiner Mutter.

Ausländer bedeutete Probleme, Schulabbrecher, Ehrenmorde

„Das deutsche Krokodil“ heißt das neue Buch Ijoma Mangolds, der als Literaturchef der Wochenzeitung Die Zeit ansonsten die Bücher anderer rezensiert. Innerhalb kürzester Zeit ist seine chronologische Ich-Erzählung zum Bestseller geworden: Einerseits natürlich, weil sie frisch und trotz aller dramatischer Wendungen unprätentiös daherkommt, andererseits aber auch, weil es nicht nur die Lebensphase erfasst, ab der plötzlich ein sogenanntes „Mischlings“-Kind seinen eigenen Werdegang zu analysieren lernt, sondern weil es auch der Gesellschaft der Bundesrepublik der 70er bis 90er Jahre den Spiegel vorhält.

„Ich hatte Deutschland nie als ein rassistisches Land empfunden“, schreibt Mangold mit dem Brustton der Überzeugung. Und alle Leser, die eine ausgiebige Klage über Diskriminierung des Jungen mit der dunkleren Haut befürchtet hatten, dürften erleichtert durchatmen.„Dass ich exotisch aussah, schien an der Schule niemand groß zu bemerken. Damals gab es in der Bundesrepublik Ausländer, aber ich gehörte nicht dazu“, berichtet der Autor.

Ausländer, das habe doch geheißen: Probleme, Schulabbrecher, Parallelwelten, Ehrenmorde. Im menschenfreundlichen Kosmos von Heidelberg sei seine fremdländische Aura weder thematisiert noch überhaupt wahrgenommen worden. Seine Hautfarbe und die Vaterlosigkeit waren in einer liberalen Stadt damals kein Problem.

Als ihn dann doch jemand „Afrodeutscher“ nennt, weist Mangold diesen Hinweis erbost von sich. Nach und nach fällt ihm jedoch auf, dass es in seiner so glatten Schul- und Studienlaufbahn doch einige kleinere und größere Brüche gegeben haben musste: „Wie kommt es, dass dieser Held deutscher wirkt als die Deutschen?“, fragt er sich in der Retrospektive. War er überassimiliert, deutscher als jeder Deutsche? „Ein Opportunist, der die Anpassung so weit trieb, bis die konservativen Väter meiner Freunde überzeugt waren, dass das deutsche Kulturerbe einzig in meinen Händen noch eine Chance auf ein Weiterleben hatte?“

Mehrwöchige Reise nach Afrika

Der Autor treibt das Spiel noch weiter: Habe er, behütet von seiner starken Mutter, letztlich nicht doch die ganzen Jahre Angst vor Ausgrenzung gespürt? Er wischt den Gedanken vom Tisch: Das sei genau jene Art von schematischer Psychoanalyse, die er immer zum Gähnen gefunden habe. Aber warum wurde er jene Sorge aus der Kindheit niemals los, „dass eines Tages doch etwas Schlimmes passieren könnte wegen seiner Hautfarbe?“

Als Student wird Mangold seinen Vater nach 22 Lebensjahren erstmals treffen. Er wird sich auf eine mehrwöchige Reise zu seiner afrikanischen Familie einlassen. Er wird dort die Chance auf ein ganz anderes Leben geboten bekommen. Mit Schwung skizziert Mangold die für einen deutschen Studenten der so fremde Welt, in der eben auch ein Teil seiner Wurzeln liegt. „Sie glauben an die Macht des Blutes“, erkennt er fassungslos ob all der Liebesbeweise.

Mit einem Mal hat der junge Mann nicht nur ein einziges Leben. „Mir wurde ein zweites Leben angeboten.“ Das Ende der Geschichte wird hier nicht verraten. Auf jeden Fall würde der Autor mit Blick auf das pechschwarze Krokodil sein bisheriges Leben noch einmal ganz neu in die Hand nehmen müssen. All das erzählt Mangold mitreißend und nicht ohne Humor. Er hat damit ein Buch geschrieben, das gerade vor dem Hintergrund aktueller rassistischer Provokationen in Deutschland wichtige Diskussionen anstoßen sollte.

Ijoma Mangold: Das deutsche Krokodil. Meine Geschichte. Rowohlt, 352 S., 19,95 Euro

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