Zwischenmenschliche Hölle "Walküre"-Premiere an der Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorf · Dietrich Hilsdorfs Düsseldorfer Inszenierung von Richard Wagners Opernvierteiler „Ring des Nibelungen“ ist bei der „Walküre“ angekommen.

 Familienzwist: (von links) Simon Neal (Wotan), Corby Welch (Siegmund), Renée Morloc (Fricka).

Familienzwist: (von links) Simon Neal (Wotan), Corby Welch (Siegmund), Renée Morloc (Fricka).

Foto: Michel

Zu den vornehmen Tugenden moderner Opernregisseure zählt Kostenbewusstsein. Längst wissen sie um die Verzwergungen der Etats, die opulente Bühnenbilder nur selten ermöglichen. Unter solchen Maßgaben hat Dietrich Hilsdorf für die neue Düsseldorfer „Walküre“ vorbildlich gearbeitet.

Dieter Richter hat einen düsteren Einheitsraum kreiert, der den Figuren Auslauf lässt und das Wilde, Unbehauste, Rohe bannt. Das trifft sich mit den Lebensgewohnheiten Hundings, des Hausherrn im ersten Akt, der auf heimische Behaglichkeit keinen Wert legt. Wichtig sind ihm der wuchtige Tisch und die offene Feuerstelle; die Wände ragen kahl und rußig. Dass in der Esche, die mitten im Saal durchs Dach dringt, ein Schwert steckt, hat er längst vergessen; den Griff – wozu denn Kleiderbügel? – nutzt er als Mantelhaken.

Solche Miniaturen wiederholen sich später in einer genauen, einfallsreichen, doch emotional aufgeladenen Interpretation, die aus der „Walküre“ („Rheingold“ ist für den „Ring“ Exposé und Stellwerk zugleich) eine zwischenmenschliche Hölle macht. Die Leute hier müssen alle Flüche, Eide und Vertragskonditionen ertragen, die Wotan und Alberich ihnen eingebrockt haben. Lichte Momente erobert sich das Wälsungenpaar; es hat sich die heimlichen Rituale seiner Kindheit bewahrt. Wie in naiver Spiegelung der Zwillings-Identität tauschen beide ihre Kleider, was die inzestuöse Begierde eher noch steigert.

Der erste Akt ist hinreißend, ein archaischer Thriller, von Angst geschürt, von Hass genährt, von Liebe befeuert. Dazu lodert es aus dem Graben, denn die großartigen Düsseldorfer Symphoniker legen nicht nur ihre Wagner-Erfahrung auf den Tisch, sondern lassen sich von Axel Kober am Pult zu jener Hitze treiben, die nicht nur aus dem schweren Blech, sondern gerade aus den Streichern glüht.

Das Einheitsbühnenbild hat freilich Nachteile, denn Hilsdorf lässt Leute aus früheren Akten einfach sitzen und Gesprächen lauschen, die für ihre Ohren nicht bestimmt sind. Der teils euphorischen, teils desillusionierenden Konversation zwischen Brünnhilde, Fricka und Wotan wohnen zu großen Teilen Siegmund, Sieglinde und Hunding bei, als ob göttliche Klausurtagungen dem Publikum, über das diskret verhandelt wird, zugänglich seien. Deshalb wirkt es später, bei der „Todesverkündigung“, arg gequält, dass Siegmund Brünnhilde nicht zu kennen scheint. Jetzt trägt sie indes Trauerschleier, eine überraschende, starke Lösung: Bald wird sie die Reste des Schwerts in den Stoff wickeln, als gerettetes Erbe für Siegfried, der in Sieglindes Bauch wächst und – ein Monster schon jetzt – dermaßen um sich tritt, dass die Mutter von argen Schmerzen geplagt ist.

Hunding zieht vor Siegmunds Leiche den Hut

Das Personal der „Walküre“ hat noch Manieren: Siegmund reißt das Schwert aus der Esche, steckt es später wieder zurück, um es nach drei Minuten erneut herausziehen – als sei ein mythisches Schwert ein Oberklassewagen ängstlicher Neureicher, die ihn bei jeder Gelegenheit in der Garage parken. Und Hunding zieht vor der Leiche Siegmunds immerhin den Hut, bevor ihn selbst Wotans Wut als tödlicher Blitz trifft.

Ja, Wotan und die Seinen werden von schweren Launen geschüttelt, wie auch anders: Der Gott kann sich noch immer keinen Augenarzt leisten, die Frauen ringsum sind unzuverlässig, und die Flugbereitschaft besteht aus einem ältlichen Hubschrauber, der im dritten Akt (als Rückkoppelung auf Coppolas „Apocalypse now“) über das Opernhaus zu rattern scheint und fast eine Bruchlandung hinlegt. Die Familie Wotan kann das nur mit viel Rotwein ertragen. Aus einer Karaffe löscht der Gott am Ende auch die Kerzen im Saal, damit Loges Feuerzauber zur Geltung kommt.

Andererseits scheint der Rebensaft die Stimmbänder zu schmieren, denn es wird grandios gesungen. Elisabeth Strid rührt als verzückte, opfermutige Sieglinde zutiefst, Corby Welch leiht dem Siegmund die heldischen Qualitäten seines Tenors, Simon Neal legt Wotan als elementar gebrochenen Gott an, Renée Morloc kontrolliert Frickas Eifersucht mit Attacke und Noblesse, Linda Watson wirft all ihre wunderbare Erfahrung in die Brünnhildenpartie. Wenn Sami Luttinen den Hunding singt, herrscht finstere Nacht. Rhythmisch sattelfest, auch ohne echte Gäule: die Walküren.

Der neue „Ring“ der Rheinoper nimmt Formen an, er wird zum anspielungsreichen, handfesten, vielleicht etwas übereifrigen Menschentheater reifen. Dass das Haus ihn musikalisch so exzellent besetzen kann, ist ein Glücksfall. Großer Jubel für alle Musiker, gemischte Votierungen für das Regieteam.

Was übrigens den gehörigen Rotweinkonsum auf den Arbeitsstätten Walhall und Walkürenfelsen betrifft, so empfehlen wir beizeiten die betriebsärztliche Kontrolle der Leberwerte.

Vorstellungen: 17.02., 04.03., 11.03., 25.03., 31.03.; Kartentelefon (0211) 89 25 211.

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