Wolfgang Niedecken wird 65 Von Brüchen im Leben

KÖLN · Pfadfinder, Internatsschüler, Bürgerschreck, Maler, Rockstar, Buchautor, politischer Mensch, Familienmensch: Wolfgang Niedecken wird 65.

 Wolfgang Niedecken im August 2013 in Köln.

Wolfgang Niedecken im August 2013 in Köln.

Foto: picture alliance / dpa

Bob Dylan hat ihn angefixt. Und die Stones haben ihm das Leben gerettet. Das alles passierte im beschaulichen Rheinbach der 60er Jahre, als der junge Wolfgang Niedecken mit wild wuchernder Lockenmatte und Fransen-Lederjacke noch als optischer Bürgerschreck daherkam. „Er hat mir das Tor zur Lyrik aufgemacht“, sagt Niedecken über Dylan. Er meint den Song „Like a Rolling Stone“, der ihm 1966 eine neue Welt öffnete.

Damals konnte er noch nicht ahnen, dass er Jahre später als Südstadt-Dylan, Erfinder des Kölsch-Rock und Songwriter selbst zu lyrischer Berühmtheit gelangen sollte. Und dass er das Bläck-Fööss-Universum aus Veedels-Rührseligkeit weit hinter sich lassen und ganz andere Geschichten auf Kölsch erzählen würde. Durch die Stones wurde ihm bewusst, dass man sich wehren und abgrenzen konnte gegen den Mief der 60er Jahre.

„Ich war ein zorniger junger Mann; aber bewusst provoziert habe ich damals nicht.“ In der Rheinbacher Internatszeit erlebte Niedecken sowohl die Hölle des Missbrauchs als auch die Erlösung durch die Musik. Er lernte dort die Musik der Beatles, der Stones, der Kinks und der Who kennen und gründete mit Hein Pelzer und Wilfried Hennig die Schülerband „The Troop“.

Mick Jagger über BAP: "What the hell is this?"

Nach dem Kunststudium in Köln traf er sich 1976 häufiger mit seinen Freunden Hans Heres, Wolfgang Klever, Bernd Odenthal, Manfred und Wolli Boecker im Wiegehäuschen der Herseler Kiesgrube zum Jammen. Als die ersten Auftritte anstanden, musste ein Bandname her. Was lag näher, als die Truppe nach dem Spitznamen des Sängers zu nennen. „BAP“ (rheinisch für „Papa“) deshalb, weil Niedecken viel von seinem sparsamen Vater erzählte, zu dem er ein schwieriges Verhältnis hatte, wie er es in „Verdamp lang her“ beschreibt. „Wir waren musikalisch nicht gut damals, aber wir haben einfach gemacht“, sagt Niedecken, der heute in der jungen Kölner Band AnnenMayKantereit die Durchbruchsjahre von BAP wiedererkennt.

Anfang der 80er Jahre, auf dem Höhepunkt der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, schoss BAP durch die Decke. Die Jungs waren die angesagteste Band im Land. Selbst Mick Jagger staunte 1982, als er vor dem Stones-Konzert sah, wie die Vorgruppe namens BAP das Kölner Stadion zum Kochen brachte. „What the hell is this, Fritz“, soll er Veranstalter Fritz Rau gefragt haben.

BAP-Konzerte konnten gut und gerne mal vier Stunden dauern, ehe Niedecken, ein Handtuch um den Hals, „Et letzte Leed hück Ovend, dann jeht et heim noh de Mamm, noh de Frau, nohm wärme Arsch em Bett“ anstimmte. Der Tourstress führte auch zum Ende von Niedeckens erster Ehe 1986. „Das war ein großer Bruch“, sagt er heute. „Da trafen zwei Lebensentwürfe aufeinander, irgendwann ging es nicht mehr.“ Seit mehr als 25 Jahren ist Niedecken nun mit Ehefrau Tina verheiratet, der er 2013 die Platte „Zosamme alt“ widmete.

Ein großer Bruch war 1999 auch der Ausstieg des Leadgitarristen Klaus „Major“ Heuser bei BAP. Wie in einer Ehe hatten sich Niedecken und Heuser auseinandergelebt. Es gab unterschiedliche Auffassungen über die Ausrichtung der Band. „Ich bin ihm dankbar, dass er selbst gegangen ist. Ich hätte ihn nie rausgeschmissen“, sagt Niedecken.

Die schon ausverkaufte DDR-Tour sagte er 1984 ab

Bob Dylan hatte es stets abgelehnt, als Sprachrohr der Protestbewegung der 60er Jahre vereinnahmt zu werden. Auch Niedecken ließ sich nie vereinnahmen. Auch nicht von der Friedensbewegung, der er mit der Anklage gegen Nadelstreifen-Schreibtischtäter den Soundtrack lieferte: „Plant mich bloß nit bei üch inn, sick ich üch durchschaut hann, weiß ich, dat ich nit om allerfalschste Dampfer benn.“ 1984 wollte die DDR-Regierung verhindern, dass BAP bei der geplanten Tour „Deshalv spill mer he“ spielte, ein Stück gegen das Wettrüsten in Ost und West. Doch Niedecken ließ sich nicht zensieren und sagte die bereits ausverkaufte Tour ab.

Das neue Album „Lebenslänglich“ klingt im Gegensatz zum Vorgänger „Halv su wild“ eher ruhig, pessimistisch, fast düster. „Es sind keine Zeiten für Luftsprünge“, sagt Niedecken. „Hoffentlich wird Mitteleuropa jetzt langsam mal bewusst, dass die Dritte Welt auf der Matte steht, das Problem lässt sich nicht mehr wegzappen.“ Die große Sünde unserer Vorfahren, die Kolonialpolitik, räche sich jetzt: „Das Pendel schlägt zurück.“

Niedecken ist froh, dass Angela Merkel in der Flüchtlingsdebatte Haltung zeigt. „Hätte ich früher nicht gedacht, dass ich einer CDU-Kanzlerin zustimme, aber das Leben ist voller Überraschungen.“ Europa habe keine Zukunft, wenn es sich nicht als Solidar-, sondern nur als Zugewinn-Gemeinschaft verstehe. Er ist für Verhandlungen mit der Türkei, obwohl er Erdogans Politik „katastrophal“ nennt. „Aber wenn man mit dem Teufel reden will, muss man in die Hölle gehen.“

Parteizugehörigkeiten interessieren Niedecken nicht. Entscheidend ist für ihn, was unterm Strich steht. „Das sind Fragen der Zivilisation, der Humanität, der Nächstenliebe und des Anstands. Wir können doch Menschen, die vor dem Krieg geflohen sind, keine Zäune in den Weg stellen.“ Das Thema Humanität war es auch, das Niedecken 2005 dazu brachte, das Projekt „Rebound“ für ehemalige Kindersoldaten in Uganda und im Ostkongo ins Leben zu rufen.

"Demokratie braucht mündige Medien und mündige Bürger"

Köln hat sich nach Niedeckens Einschätzung durch die Silvester-Übergriffe am Hauptbahnhof nicht verändert. „Wir bleiben weltoffen, hier haben im Lauf der Geschichte schon immer verschiedene Kulturen friedlich zusammengelebt.“ Natürlich habe die AfD von der Silvesternacht profitiert, wie sie allgemein von politisch nicht gebildeten Menschen profitiere, denen sie einfache Lösungen verspreche. „Deshalb braucht die Demokratie mündige Medien und mündige, gut informierte Bürger.“

Die Verführung der Masse durch einfache Parolen hat Niedecken schon 1981 in „Kristallnaach“ beschrieben: „Doch die alles, wat anders ess stührt, die mem Strom schwemme, wie't sich jehührt, für die Schwule Verbrecher sinn, Ausländer Aussatz sinn, die bruchen wer, der se verführt.“ Wie fühlt er sich als Prophet angesichts rechter Hetze und brennender Asylbewerberheime? „Fremdenfeindlichkeit tritt in immer neuen Erscheinungsformen auf. Ob als NPD, als Republikaner oder als AfD. Man muss sich mit ihr auseinandersetzen.“

Am 30. März wird Niedecken 65. An Ruhestand denkt er noch lange nicht. Würde man das einen Schriftsteller fragen? Sicher nicht. Der „Familienmensch und Patriarch“, wie er selbst sagt, feiert im kleinen Kreis. Wünsche? „Vor allem Gesundheit“, sagt er. Für einen wie ihn, der vor vier Jahren fast an einem Schlaganfall gestorben wäre, haben sich die Werte verschoben. „Alles relativ“ singt er auf der neuen Platte.

Wolfgang Niedecken spielt in Bonn: 22. Juli auf dem KunstRasen in der Rheinaue.

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