Konzert im E-Werk Tweedy ist nicht zu trauen

Köln · Mit einer zwölfminütigen Ballade ein Konzert zu eröffnen, ist mutig. Genau dies tun Wilco im Kölner E-Werk mit "One Sunday Morning" vom neuen Album "The Whole Love".

 Die letzte Show einer Marathon-Tour: Wilco-Frontmann Jeff Tweedy in Köln.

Die letzte Show einer Marathon-Tour: Wilco-Frontmann Jeff Tweedy in Köln.

Foto: Thomas Brill

Jeff Tweedys betörend weiche Stimme weht durch die Halle, Drummer Glenn Kotche streichelt mit leichten Besenstrichen seine Trommeln, Nels Clines Gitarre und Mikael Jorgensens Piano umspielen so sanft wie möglich die einschmeichelnde Melodie.

Tweedy versinkt im Song. Niemand will ihn dabei stören. Andächtige Stille beherrscht das E-Werk. Nach zwölf Minuten entlädt sich die aufgestaute Spannung in einem frenetischen "JuHuh". Wer glaubt, Tweedy habe gerade über einen wunderbaren sonnendurchfluteten Sonntagmorgen meditiert, irrt.

Der Text handelt von einem Sohn (Tweedy?), der seinem tiefreligiösen Vater entgegen schleudert, dass er seinem Gott nicht glauben kann. Es ist das Ende der Vater-Sohn-Beziehung. Der Sohn verlässt an diesem Sonntag das elterliche Haus.

Wilco darf man nie so richtig trauen. Eingängige Melodien und Harmonien werden urplötzlich von wüsten und zugleich betörenden Lärmattacken unterbrochen. Eine karamellisierte Stimme suggeriert Friedlichkeit, schwebt aber über dunklen, bedrohlichen Textinhalten.

Auch sollte man sich hüten, alles als bare Münze zu nehmen, was der Kopf der Band im Konzert sagt. Nach der Hälfte des Abends wendet sich ein für seine Verhältnisse erstaunlich gelöster Jeff Tweedy an das Publikum: "Das ist die letzte Show unserer vierzehnmonatigen Tour, bei der wir 700 Konzerte gegeben haben!" Da muss er die Soundschecks gleich mitgezählt haben. "Dafür spielen wir ziemlich gut!" Das ist eine glatte Untertreibung.

Wilco sind nicht einfach gut. Sie sind fantastisch. Seit Jahren spielen sie in einer stabilen Besetzung und werden dabei immer besser. Jeder ist an seinem Instrument perfekt ohne perfektionistisch kühl zu werden. Ein besonderes Erlebnis ist Gitarrist Nels Cline, ein vom Jazz kommender Soundtüftler, den es irgendwann im Laufe des Konzerts förmlich durchzuckt. Sein Körper biegt sich zu Soli, die Rockmusik entgrenzen, ihr einen Ton geben, der aufhorchen lässt, weil er neu ist, betört und verstört.

An diesem Abend, an dem sich die Band frei in ihrer Musik treiben lässt, bleibt kein Fanwunsch offen. Der Sound ist perfekt, die Musik von einer atmosphärischen Dichte, die einem fast den Atem raubt. "Wilco" heißt im Englischen "alles klar!" Nach zweieinhalb Stunden weiß man - eine glatte Untertreibung!

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