Konzert in der Kölner Philharmonie Reise zum fernen Geisterreich der Töne

Köln · Teodor Currentzis und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg brillieren in der Kölner Philharmonie. Patricia Kopatchinskaja spielt Bergs Violinkonzert "Im Andenken eines Engels".

 Leger bei der Probe: Geigerin Patricia Kopatchinskaja und Dirigent Teodor Currentzis. FOTO: THOMAS BRILL

Leger bei der Probe: Geigerin Patricia Kopatchinskaja und Dirigent Teodor Currentzis. FOTO: THOMAS BRILL

Foto: Thomas Brill

Würde ein Regisseur mit dem Gedanken spielen, die Lebensgeschichte von E. T. A. Hoffmanns legendärem Kapellmeister Johannes Kreisler zu verfilmen, sollte er dringend bei Teodor Currentzis nachfragen, ob er nicht die Titelrolle übernehmen wolle. Der schlanke, hochgewachsene Dirigent müsste sich gar nicht groß verkleiden: Beim Gastspiel des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg in der Kölner Philharmonie trug er Schnürstiefel, hatte die dünnen Beine in eine hautenge schwarze Hose gezwängt, den Oberkörper umspielte der Stoff seines schwarzen Hemdes, das er über der Hose trug. Selbst die schlaksig-tänzelnden Bewegungen beim taktstocklosen Dirigieren könnte man sich bei Kreisler lebhaft vorstellen.

Beethoven, meint übrigens Hoffmanns fiktiver Kapellmeister, führe den Menschen „in das ferne Geisterreich der Töne“. Das erlebte man am Montagabend ebenfalls. Das Programm eröffnete Currentzis mit der Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 in C-Dur, in der Beethoven, anders als in der späteren Fidelio-Ouvertüre, ein Konzentrat seiner einzigen Oper komponierte. Currentzis reizte die Extreme aus, die Musiker erfüllten jeden Takt, jede Not mit musikalischer Leidenschaft. Stellvertretend sei nur das Flötensolo genannt, das der beim WDR Sinfonieorchester ausgeliehene Michael Faust virtuos blies.

Zum Solokonzert betrat in weißem bodenlangen Kleid die moldawische Geigerin Patricia Kopatchinskaja die Bühne. Die unter dem Saum hervorblitzenden schwarzen Schuhe streifte sie schnell ab, um, wie fast immer, barfuß zu spielen. Auf den Pulten lagen die Noten zu Alban Bergs Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“. Mit ihr und Currentzis treffen zwei temperamentvolle, willensstarke und künstlerisch kompromisslos ans Werk gehende Musikerpersönlichkeiten zusammen, was an diesem Abend zu einem glückhaften Ergebnis führte. Kopatchinskaja begann einen intensiven Dialog mit dem Orchester, reagierte auf jede Regung, die sie aus der komplexen zwölftönigen Partitur vernahm, auf das Espressivo ebenso wie auf das von den Musikern wunderbar intonierte wienerische Idiom. Besonders ergreifend gelang das Zusammenspiel in den leisen, trauerumflorten Passagen des Adagios, wo Berg den Bach-Choral „Es ist genug“ variiert. Hier spielte sie mit ganz viel Seele und ganz viel Hingabe.

Currentzis, der mit legendären Opernaufführungen im russischen Perm seiner Karriere einen Schub verlieh, beendete den fulminanten Abend mit Schostakowitschs letzter Sinfonie, der Nr. 15, die er zu einer packenden musikalischen Lebensreise formte, in der glückhafte Momente, Humor und tiefe Trauer auf engem Raum zu Wort kommen. Das Orchester reagierte auf seine Anweisungen ungemein präzise, beeindruckte mit schönen Soli von Cello und Geige im zweiten Satz oder auch – im letzten Satz – einer Klarinette. Stimmungsvoll geriet der ungewöhnliche Schluss mit dem leisen Schlagwerkgeklapper über einen liegenden Streicherklang. Das Publikum spendete stehend Applaus. Dass dieses so erstklassige wie traditionsreiche Orchester, dessen Chef derzeit noch der Kölner Generalmusikdirektor François-Xavier Roth ist, mit dem Stuttgarter SWR Orchester zwangsfusioniert und damit aufgelöst wird, bleibt ein kulturpolitischer Skandal.

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