Ausstellung in Brühl Prickelnde Sinnfragen

Bonn · Das Brühler Max Ernst Museum zeigt erstmals das zeichnerische Werk des Kölner Fotokünstlers Jürgen Klauke. Mit 400 Blättern aus vier Jahrzehnten gelingt ein spannender Blick in Klaukes wundersamen Kunstkosmos

 Jürgen Klaukes Blatt „Kommunikationsvehikel“ (2007).

Jürgen Klaukes Blatt „Kommunikationsvehikel“ (2007).

Foto: Klauke

Durchgeknallt im kreativsten Sinn des Wortes, so empfindet man Jürgen Klaukes fotografische Selbstdarstellungen: Angetan mit allerlei Sexspielzeug, aufreizende Klamotten an dem biegsamen Körper, perfekte Lightshow, laszive Pose und eine Haltung, die zwischen Fetischismus und Selbstironie changiert – so erlebt man den Kölner „intermediären Aktionisten“ in seinen Fotoserien „Self-Performance“, „Transformer“, „Umarmung“, „Dr. Müllers Sex-Shop oder so stell' ich mir die Liebe vor“ und „Rot“. Der Zyklus „Masculin/Feminin“ spielte erotische Rollenbilder durch, „Desaströses Ich“ hatte die Verzweiflung und Melancholie des Künstler als Thema, „Schussfolge/Schlussfolge“ den Suizid per Revolver, „Viva España“ erschien als recht verrätseltes Kamasutra in Schwarz-Weiß. Immer ist er als Person mit von der Partie. „Mein Körper als Projektionsfläche multipler Identitäten und Geschlechter wird in die Kunst eingeführt“, hat Klauke einmal in einem Interview erklärt.

Woher kommen diese Ideen? Wie hat Klauke sie entwickelt, ausformuliert? Wie tickt der Meister? Wie ein offenes Buch erscheinen da seine Zeichnungen, die nun erstmals in einer Retrospektive zu sehen sind. Das Brühler Max Ernst Museum hat im Atelier des 73-jährigen Künstlers einen wahren Schatz gehoben. Denn das zeichnerische Oeuvre ist bis auf einige faksimilierte Serien nahezu unbekannt. Mit 400 Blättern aus vier Jahrzehnten, mit den frühen „ero-tografischen“ Zeichnungen über die psychedelisch anmutende Serie „Ziemlich“ und die emblematisch auftretende Folge „Körperzeichen/Zeichenkörper“ bis hin zu farbigen Gouachen, die seit den späten 1990er Jahren entstehen, gelingt ein spannender Blick in Klaukes wundersamen Kunstkosmos.

Die exzellent mit eindrucksvollen Bilderblöcken inszenierte Schau startet mit „(Ich & Ich) Ero-tografische Tagesberichte“ der Jahre 1970/71. Ein Panoptikum erotischer, großteils fragmentierter Körper in dekorativen Posen. Man fühlt sich an das Personal von Tomi Ungerer, an Zeichnungen von Richard Lindner erinnert. Die formulierte Drastik wird durch eine ungeheure grafische Eleganz, durch das ornamentale Arrangement und das surreale Moment (das ihn in die Nähe des Museums-Patrons Max Ernst rückt) konterkariert. Klauke ist hier ebenso präzise und sicher in der Inszenierung wie in seiner Fotografie – die Zeichnung hat jedoch den Vorteil einer noch größeren Freiheit und Detailliertheit.

Im Spannungsfeld Mann-Frau-Sex-Gewalt

Beides manifestiert sich in den zarten tagebuchartigen Notaten, die spätere Blätter begleiten: Alltagsdinge, viel Nonsense, Drogen- und Alkoholexzesse kommen da in einer witzigen, poetischen Sprache aufs Blatt. Klaukes Zeichungen umkreisen virtuos das Spannungsfeld Mann-Frau-Sex-Gewalt, kopulierende Körper werden zur androgynen Skulptur oder treffen sich zum akrobatischen Happening. So direkt Klaukes Kunst sein kann, so sehr beherrscht er auch die Andeutung („Fag-Hag“), das künstlerische Denken in Metaebenen („Sekunden“), die Formulierung existenzieller Krisen („Philosophie der Sinnlosigkeit“) sowie seelischer Metamorphosen („Entlang der Cioran-Linie“), schließlich die Abstraktion, die zu markanten Logos führt („Körperzeichen/Zeichenkörper“).

Alle diese Facetten sind in der sehr sehenswerten Ausstellung „Jürgen Klauke – Selbstgespräche. Zeichnungen 1970-2016“ vertreten. Die einzelnen Zeichnungsblöcke werden immer wieder von großen, farbigen Gouachen unterbrochen, bunte Solitäre, die nicht selten eine plakative Essenz der Serien bieten – ohne deren schillernde Vielfalt und künstlerische Dichte nur im Ansatz zu erreichen.

Wie geht es weiter? Einen Hinweis geben die letzten Blätter des mittlerweile 114 Tuschezeichnungen umfassenden Zyklus' „Körperzeichen/Zeichenkörper“: Die Provokation der frühen Jahre ist einem auf harte Kontraste und Positiv-Negativ-Effekte abhebenden, sehr konzentrierten und abstrahierenden Stil gewichen. Die Thematik ist geblieben: Das Individuum auf der Suche nach seiner Identität, verstrickt in Sinnfragen, gefangen in seiner Sexualität.

Max Ernst Museum Brühl; bis 16. Juli. Di-So 11-18 Uhr. Der ausgezeichnete Katalog (Wienand) kostet 39,90 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort
Bonner Kräfte
Kommentar zum Programm des Beethovenfestes Bonner Kräfte
Bonner Kräfte
Kommentar zum Programm des Beethovenfestes Bonner Kräfte