Premiere im Kölner Schauspiel Lotte in der Krachmacherstraße

Köln · Regisseurin Lilja Rupprecht inszeniert „Groß und klein“ von Botho Strauß am Kölner Schauspiel. Lebhafter Beifall vor allem für die Hauptdarstellerin, aus allerdings nach der Pause deutlich gelichteten Reihen.

 Eine Reise in den Wahn: Szene aus „Groß und klein“ von Botho Strauß.

Eine Reise in den Wahn: Szene aus „Groß und klein“ von Botho Strauß.

Foto: David Baltzer

Lotte ist einsam, von Anfang an. „Noch elf Tage in Agadir“, seufzt sie im Pauschalurlaub („ohne Extras“), wo belauschte Gespräche ihre einzigen „Kontakte“ bleiben. Wann immer sie anzudocken versucht, prallt sie ab – bei ihrem untreuen Mann Paul, bei neuen Hausgenossen, alten Klassenkameradinnen und ihrer Familie. Lotte aus Remscheid-Lennep, die doch nur Nähe will, wird zur peinlichen Voyeurin.

Botho Strauß hat sein Entfremdungsdrama „Groß und klein“ 1977 als eines langen Tages Reise in den Wahn geschrieben. Und als tragikomische Expedition durch die damalige Bundesrepublik: mit Schlaglichtern auf anonyme Betonklötze, erodierende Religiosität, erste Abstiegsängste und (pseudo-)progressive Sexualmoral.

Lilja Rupprecht bucht mit ihrer Inszenierung am Schauspiel Köln keine simple Rückfahrkarte ins Gestern. Allerdings schlägt sie zugleich das Angebot aus, Lottes Einsamkeit in unsere Gegenwart der oft autistisch benutzten „sozialen Netzwerke“ fortzuschreiben. Was also anfangen mit Botho Strauß?

Tatsächlich bietet Anne Ehrlichs variable Holzwohnburg mit Fensternischen und Laufsteg im Depot 1 üppige szenische Möglichkeiten. Doch schon das zweite Bild wird per Kamera als Schwarz-Weiß-Film verdoppelt. Das verströmt eine gewisse Antonioni-Aura, wenn „der Mann“ (Seán McDonagh) den Schlaf jener apart verhuschten Blondine bewacht, die es aufgegeben hat, „einen Reiz in dieses öde Kaff zu setzen“.

Danach sieht man Paul einerseits stillstehen, zugleich aber als digitalen Doppelgänger herumtigern, bevor die Verschmähte ihm mit verzerrter Mickymausstimme nachweint. Tiefpunkt der medialen Effekthascherei: Lottes Sylter Familiendesaster, das die Handkamera zur hektischen Zote verzappelt.

Technische Virtuosität sind weder Regie (die Kakophonie am Klingelbrett!) noch dem wandlungsfreudigen Ensemble abzusprechen: So kann Guido Lambrecht nahtlos von Paul zum Ersatz- „Freund“ Alf mutieren. Köstlich auch die erkaltete Akademikerliebe zwischen Jürgen (Johannes Benecke) und Gudrun (die famose Sophia Burtscher).

Und Lotte? Wird von Sabine Orléans verkörpert, die meist in einem einzigen Monolog alle Register zieht. Ein Kraftakt zwischen Mauerblümchen und Megäre, UIknudel und Schmerzensfrau. Sie kann das alles, doch weniger wäre mehr: Gerade im mimischen Fortissimo verliert sich Lottes Verlorenheit.

Zwar verlangt niemand, dass Lilja Rupprecht vor dem fast 40 Jahre alten Stück in Textfrömmigkeit niederkniet. Der dröhnende Wirkungswille dieser Inszenierung aber macht Botho Strauß' blinkendes Sprachskalpell stumpf. Immer hektischer werden abgegriffene Requisiten aus dem Regietheaterfundus gezogen: Die (ohnehin entbehrliche) Türkenszene wird zum Kasperle-Pandämonium aufgedonnert, der junge Mann an der Bushaltestelle zum achtstimmigen Chor verstärkt. Lotte in der Krachmacherstraße, könnte man in Abwandlung eines Astrid-Lindgren-Titels sagen.

Im Finale dann endlich gespenstische Stille, wenn die nun vollends Vereinsamte sich als eine der 36 Gerechten auf Erden wähnt und im Wartezimmer eines Arztes die letzte Chance auf Wärme sucht. „Ich bin nur so hier. Mir fehlt ja nichts“, meint sie. Auch diesem Abend fehlt ja nichts – bis auf das Wesentliche.

Lebhafter Beifall vor allem für die Hauptdarstellerin, aus allerdings nach der Pause deutlich gelichteten Reihen.

Drei Stunden mit Pause, nächste Termine 28.10. sowie 5., 24. und 27.11., je 19.30 Uhr. Karten-Tel.: (0221) 221 28400.

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