Wiener Philharmoniker in Köln zu Gast Klarheit und Verzweiflung

Köln · Der kanadische Dirigent Yannick Nézet-Séguin und die Wiener Philharmoniker zu Gast in Köln: Am Pult ist Nézet-Séguin immer fokussiert und dirigiert mit runden Bewegungen. Anfeuernd, aber stets verständlich.

 Locker: Yannick Nézet-Séguin bei der Probe mit den Wiener Philharmonikern.

Locker: Yannick Nézet-Séguin bei der Probe mit den Wiener Philharmonikern.

Foto: Thomas Brill

Die Wiener Philharmoniker im Haus und die Philharmonie nicht ganz ausverkauft. Lag es an den höheren Preisen, an der EM oder an dem vielen noch unbekannten Dirigenten Yannick Nézet-Séguin (41)? Dabei ist der Kanadier ja längst kein Shootingstar mehr. Als Chef von gleich drei internationalen Spitzenorchestern in Philadelphia, Rotterdam und seiner Heimatstadt Montreal hat er viel zu tun. Seiner im Umgang mit den Orchestermusikern überaus lockeren Art ist dieser Dauerstress nicht anzumerken. Während des Schlussapplauses hat er sogar für ein kleines Schwätzchen mit dem Konzertmeister Zeit. Am Pult ist Nézet-Séguin immer fokussiert und dirigiert mit runden Bewegungen. Anfeuernd, aber stets verständlich. Jede Instrumentengruppe hat er fest im Blick.

Bruckners von Geheimnissen umwobene Neunte (1896) stand auf dem Programm. Auch sie konnte kaum der Grund für gelichtete Reihen sein. Nézet-Séguin holte das Stück aus dem Klassiktempel heraus zurück ins Leben. Ja, in Passagen entwickelte dieser Bruckner eine geradezu apokalyptische Wucht. Als so verzweifelt und „zerrissen“ hat man diesen Komponisten selten gehört. Dabei ist der Kanadier mit seiner etwa einstündigen Interpretation aber keinesfalls schneller als Günter Wand, der Bruckner zelebrierte. Nézet-Séguins Bruckner nähert sich der emphatischen Oper, klingt sogar nach Gesang und immer wieder nach Gustav Mahler.

Eine gewisse französische „clarité“ zeichnete diesen Bruckner ebenso aus. Und die Wiener? Die konnten ihren homogenen, samtigen und im finalen Adagio von vier Wagner-Tuben erwärmten Grundsound zwar demonstrieren, doch Nézet-Séguin frischte ihn auf. Besonders dem Finale fehlte so ein Quäntchen Magie, gerade in den leisen Passagen. Die Brillanz und die sogartige Wirkung waren hingegen hinreißend. In Anton Webers „Passacaglia“ (1908) boten die Gäste zuvor ein Kabinettstückchen ihrer Kunst und kehrten das Spätromantisch-Wienerische dieses Neutöners hervor. Natürlich verbietet sich nach Bruckners Neunter jede Zugabe.

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