Kölner Philharmonie High Noon im Kinderzimmer

Die idyllischen Heile-Welt-Bläserakkorde des Anfangs aus Antonin Dvoraks sinfonischer Dichtung op. 108 sind trügerisch. Sie beschreiben eine Familienszene, in der alles gut ist, bis das Kind in Gestalt eines sich in Tonwiederholungen ergehenden Oboenmotivs derart zu nerven beginnt, dass die Mutter sich bald nicht anders zu helfen weiß, als mit der Mittagshexe zu drohen.

 Virtuosin: Sol Gabetta bei der Probe in der Philharmonie.

Virtuosin: Sol Gabetta bei der Probe in der Philharmonie.

Foto: Thomas Brill

Womit sie nicht rechnet: Das titelgebende Schreckenswesen tritt denn auch tatsächlich um Schlag 12 Uhr mittags ein, um das Kind zu holen. Ein Happy End wird es nicht geben.

Mit diesem düsteren Märchenszenario begann das London Philharmonic Orchestra sein Gastspiel in der Reihe der Meisterkonzerte in der fast ausverkauften Kölner Philharmonie. Unter Leitung seines eleganten Chefdirigenten Vladimir Jurowski bot das Orchester am Montagabend packende Musik zu einem imaginären Horrorfilm, in der die ganze Bandbreite vom Liebreiz der Idylle über das unheimliche Grauen bis zum tödlichen Schrecken klangvoll zum Ausdruck kam.

Dem slawischen Raum blieb Jurowski an diesem Abend verbunden. Zunächst folgte Dmitri Schostakowitschs zweitens Konzert für Violoncello und Orchester, für das die Londoner mit der in Basel lebenden Argentinierin Sol Gabetta eine ideale Solistin eingeladen hatten. Denn gerade in dem sehr langen ersten Satz, einem Largo, kam ihre überaus nuancierte Tongebung, die sich mehr an Klangfarben und kantabler Führung als an purem Volumen orientiert, sehr wirksam zum Tragen.

In ihrem Spiel ist jede Note Teil einer Phrase, nichts steht nur für sich, was selbst für die an diesem Abend atmosphärisch geladenen Pizzicati galt. Doch ihre größte Stärke sind hier natürlich die großen Bögen, die Gestaltung der weit ausschwingenden melodischen Linien, die wie ein nicht enden wollender melancholischer Gesang den Konzertraum füllten. Wobei sie aber auch dem in der Durchführung plötzlich rhythmisch und dynamisch sich belebenden Orchesterklang durchaus klangliche Fülle entgegenzusetzen hatte, was sie auch im grotesken Dialog mit den grollenden Donnerschlägen der großen Trommel eindrucksvoll auskostete. Aber sie ist auch eine fabelhafte Virtuosin, wie sie in dem kurzen zweiten Satz zeigte. Nach dem finalen Allegretto war die Begeisterung groß, wofür sich Sol Gabetta mit einer ihrer Lieblingszugaben bedankte, dem Dolcissimo aus Peteris Vasks' "Gramata Cellam", dessen mehrstimmige Klangmagie sogar Sol Gabettas schöne Sopranstimme mitschwingen ließ.

Im zweiten Programmteil kam dann ein bisschen Weihnachtsstimmung. Dafür sorgten Auszüge aus Peter Tschaikowskys Ballett "Der Nussknacker". Die Musik hört man im Theater freilich eher nicht in solch klanglicher Opulenz, wie sie das üppig besetzte und klangvoll aufspielende Orchester bot. Wunderbar, wie Jurowski die Schneeflocken und Blumen Walzer tanzen ließ. Schade nur, dass der Tanz der Zuckerfee ausgelassen wurde. Möglicherweise ja zugunsten des Zugabenteils, den es aber an diesem langen Konzertabend trotz begeistertem Applaus nicht gab.

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