Jelinek-Uraufführung in Köln Hier zählen nur die Körper

Köln · Das ebenso plakatives wie erschütterndes Missbrauchs-Stück „Schnee weiss“ im Depot 2 des Kölner Schauspiels.

 Schnee- und Textlawinen: Szene aus Elfriede Jelineks „Schnee weiss“.

Schnee- und Textlawinen: Szene aus Elfriede Jelineks „Schnee weiss“.

Foto: Tommy Hetzel

Frohe Weihnachten. Das Christkind ist da, Knecht Ruprecht auch. Doch in einem Stück von Elfriede Jelinek klingt die Frage, ob der düstere Mann denn auch „seine Rute“ mitgebracht habe, alles andere als unschuldig. Und so läuft nun im Bühnenhintergrund, in einem rußigen Keller, die stilisierte Vergewaltigung eines Kleinkinds ab, während im Vordergrund Gottvater im Rollstuhl senil, eitel und selbstmitleidig zum Publikum über schwarze Schafe und die Abhärtung junger Menschen quasselt. Allgegenwärtig aber abgewandt.

Das ist plakativ, offensichtlich - und dennoch erschütternd. Die effektivste Intervention, die Regisseur Stefan Bachmann bei der Uraufführung von Jelineks „Schnee weiss“ im Depot 2 des Schauspiels Köln zu bieten hatte. Bachmann ist auch nicht zu beneiden: Die Literatur-Nobelpreisträgerin hatte die letztjährigen Enthüllungen über sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch im österreichischen Ski-Verband in den 70er Jahren zum Anlass für zivilisationskritische Tiefenbohrungen genommen. Mit Hilfe der bewährten Textflächen des postdramatischen Theaters, das weder konventionelle Handlungsstrukturen noch Charakterentwicklung kennt.

Um Frauenverachtung und Missbrauchsstrukturen im christlich codierten Abendland geht es, um den Fetisch-Charakter sportlicher Körper, um den Zynismus der Macht und damit einhergehende Verdrängungsleistungen. Schon im ersten Teil werden die Textflächen zu wahren Textlawinen, wenn ein frisch-fröhliches Quartett zur angestrengten Lockerheit von Fiesta Mexicana („Hossa“, „Hossa“) den von Jana Findeklee und Joki Tewes in die Bühnenmitte gesetzten, in trügerischem Unschulds-Weiß erstrahlenden Ski-Abhang herunter brettert, unter dem sich jener finstere Keller des zweiten Teils verbirgt.

Doch zunächst werden die Missbrauchs-Nachrichten von den vier Hobby-Sportlern nach Kräften heruntergespielt, noch während ihrer beiläufigen Kopulationen quatschen sie pausenlos über mögliche Übertreibungen und darüber, dass es nun mal so ist, wie es ist und immer war. Und ein angekettetes Vergewaltigungsopfer denkt über seine Schuld nach.

Lange hatte der Zuschauer nicht mehr so viel Respekt vor einer schieren handwerklichen Basiskompetenz des Schauspielerberufs wie dem Auswendiglernen. Dem sechsköpfigen Ensemble gelingt es aber auch, der sperrigen Vorlage, in der Motive aus der Bibel, den Sportnachrichten, von Euripides, Nietzsche und Stanley Kubrik meist assoziativ durcheinander schießen, einen der Bühne gemäßen Ausdruck zu geben. Souverän lässt Margot Gödrös Gottvater allzu menschlich werden, Peter Knaacks gekreuzigter Jesus wirkt wie der penetrante Nachbar, der zeternd auf seinen älteren Rechten besteht – hier ist es das erste, alles andere überschattende Leiden - , und Simon Kirsch liefert einen grandios-zerquälten Monolog als Opfer einer Ganzkörperkastration. Sein Kopf wird als Kuriosität im Museum ausgestellt, aber wen interessieren schon Köpfe? Hier zählen nur Körper.

Möglicherweise hätten sich Bachmann und Dramaturgin Beate Heine weniger auf die Künste ihrer Schauspieler verlassen und dafür den für die zweistündige Aufführung ohnehin stark gekürzten Text weiter zusammenstreichen sollen. Und Raum lassen für ein paar gute inszenatorische Einfälle über die eingesetzten Nacktkörperkostüme und übergroßen Masken hinaus. So ist das am Ende überforderte Publikum beinahe allein gelassen mit dem ständigen Strom wuchtig- undurchdringlicher Wortkaskaden.

Der aber keineswegs als Wortmeldung im Rahmen der österreichischen MeToo-Variante zu verstehen ist. Am Ende steht die Ermordung des Halbbruders des nordkoreanischen Präsidenten auf dem Flughafen von Kuala Lumpur: Frauen als Täter diesmal - aber in Wirklichkeit nur Marionetten im Intrigenspiel mächtiger Männer. Ein bitterböser Kommentar zum Abschluss eines Stücks, das im Untertitel „Die Erfindung der alten Leier“ heißt und in dessen endlosem Redefluss nie Schlussfolgerungen gezogen werden. Vielleicht nicht der schlechteste dramaturgische Einfall, die Premiere eines derart unversöhnlichen Stücks so kurz vor Heiligabend anzusetzen.

Weitere Aufführungen: 12., 13. , 24., 31. Januar.; 3., 20., 21. Februar 2019; Kartenreservierungen unter (0221) 2 84 00.

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