Buchtipp Geschichte einer Pop-Ikone

Köln · Tobias Lehmkuhls Biografie über die Sängerin Nico. Am 16. Oktober wäre die gebürtige Kölnerin 80 Jahre alt geworden.

Buchtipp: Geschichte einer Pop-Ikone
Foto: Cover

„Auf Fotos schien das Licht sie zu meißeln und neu zu erschaffen wie eine lebendige Skulptur, es prägte diese granitenen Wangenknochen, formte das Profil. Von nahem betrachtet, sah alles anders aus. Das lange blonde Haar des Chelsea-Girls war jetzt graubraun, ihre Gesichtshaut schlaff und gedunsen, Hände und Arme waren verkrustet und vernarbt von Einstichen, ihre Augen wie gebrochene Spiegel.“ Als der britische Pianist James Young Nico 1982 in Manchester kennenlernt, ist vom Glamour der Frau, die vom Top-Model zur Ikone der Popkultur wurde, nicht mehr viel übrig. Sechs Jahre später ist sie tot.

Hätte Nico, am 16. Oktober 1938 geboren in Köln, weitergelebt, würde sie heute 80 Jahre alt. Anlass für viele, sich an sie zu erinnern und zu versuchen, das was sie ausmachte, was ihren Ruhm begründete und später zum Absturz führte, zu ergründen. Einer davon ist Journalist und Autor Tobias Lehmkuhl. Bei Rowohlt Berlin ist sein Buch „Nico. Biografie eines Rätsels“ erschienen. Der Untertitel ist geschickt gewählt. Ein Rätsel ist etwas, was sich lösen lässt – aber mitunter auch nicht. Im Fall von Nico gibt es mehr Fragen als Antworten.

„Mit der Wahrheit oder mit dem, was man gemeinhin unter Wahrheit versteht, hatte es Nico nicht so. Sie hatte ihre eigenen Wahrheiten, und das waren die Geschichten, die sie erzählte“, schreibt Lehmkuhl. Sie machte sich „einen Spaß daraus, Journalisten einen Bären aufzubinden.“ Was dem Autor da bleibt, ist, Nicos Selbstdarstellungen immer wieder zu hinterfragen, Zeitzeugen wie James Young zu zitieren, Leerstellen mit Zeitgeschichtlichem aufzufüllen. Oder in Songtexten wie „One of Us Cannot Be Wrong“ von Leonard Cohen, der sich in Nico verliebte, wie so viele vor und nach ihm, der Strahlkraft ihrer kühlen Schönheit nachzuspüren: „But you stand there so nice in your blizzard of ice“.

Zwischen Brüchen und Widersprüchen

Für eine Annäherung an Nico – „Bastard“ einer Kölner Brauereidynastie, Model mit 15, Schauspielerin mit 20, Sängerin mit 25, später auch Songschreiberin und Autorin – reicht es allemal. Man kann sie erahnen, zwischen all den Brüchen und Widersprüchen. Die „Sphinx aus Eis“.

Die in Paris lebte, in New York und auf Ibiza. Die, die für Felllinis „La Dolce Vita“ vor der Kamera stand, Mutter eines von Alain Delons nie anerkannten Sohns. Das „Popgirl 1966“. Dessen tiefe, raue Stimme die Musik von Velvet Underground imprägnierte, so wie Öl das Leder imprägniert, es haltbar macht und glänzen lässt. Warhols Wonne, Cohens Sehnsucht, Gefährtin von Bob Dylan, Jim Morrison, Iggy Pop…

Aber auch das vom Krieg traumatisierte Kind, die Frau, die früh Erfahrungen sexueller Gewalt machte und Zuflucht in Georg Trakls dunklen Versen fand. „Ihr Talent war wohl zuallererst, Nico zu sein“, resümiert Lehmkuhl. Und liegt damit vermutlich gar nicht mal falsch.

Tobias Lehmkuhl: Nico. Biographie eines Rätsels, Rowohlt Berlin, 281 S., 24 Euro.

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