25. Todestag von Trude Herr Die Duse von der Severinstraße

Köln · Mehr als eine rheinische Ulknudel: Trude Herr beherrschte die Kunst, das Komische mit dem Tragischen zu verweben. Heute vor 25 Jahren starb die Schauspielerin, Sängerin und Theaterdirektorin.

 „Sie hat einfach von allem zu viel“, schrieb einst eine Spiegel-Kritikerin über Trude Herr. „Ein riesiges Gesicht, zu viel Lila um die Augen, zu lange falsche Wimpern, zu schwarz gefärbtes Haar. Ein Gesicht wie ein Paukenschlag, wuchtig und dominierend.“ Dieses Bild entstand im Jahre 1990, ein Jahr vor Trude Herrs Tod.

„Sie hat einfach von allem zu viel“, schrieb einst eine Spiegel-Kritikerin über Trude Herr. „Ein riesiges Gesicht, zu viel Lila um die Augen, zu lange falsche Wimpern, zu schwarz gefärbtes Haar. Ein Gesicht wie ein Paukenschlag, wuchtig und dominierend.“ Dieses Bild entstand im Jahre 1990, ein Jahr vor Trude Herrs Tod.

Foto: dpa

Ein Perkolator ist nicht unbedingt ein Gerät, mit dem man die Schlager-Hitparaden stürmen kann. Der Amerikaner Randy Randolph hat 1958 die etwas umständlich zu bedienende Kaffeemaschine besungen – sein Rock-'n'-Roll-Song „Percolator“ wäre weitgehend sang-und klanglos in der Versenkung verschwunden, hätten ihm nicht ein Jahr später ein deutscher Text und eine als Ulknudel verschriene deutsche Sängerin auf die Sprünge geholfen. „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann; ich will einen, der mich küssen und um den Finger wickeln kann“ – das war mal eine deutliche Ansage, mit der sich das kölsche Mädchen Trude Herr in den Charts festsetzte.

Die Deutschen konnten den Schokoladen-Verzicht alsbald auch im Kino besichtigen, in „Marina“, einem absolut belanglosen Schlagerfilmchen, in dem ein wohlbehüteter Teenager aus natürlich gutem Hause in die Arme eines Jazzmusikers flüchtet. Die ebenso dünne wie vorhersehbare Handlung, bei der auch Boxer Bubi Scholz kräftig mitmischte, diente nur dazu, einen Schlager an den anderen zu reihen.

Der deutsche Film der 60er Jahre liebte solche Harmlosigkeiten – und Trude Herr war immer dabei. Weil sie auf unnachahmliche Art komödiantische Tupfer setzen konnte, weil sie selbstbewusst und manchmal auch ein bisschen ordinär und vulgär mit ihrem nicht gerade auf Modelmaße getrimmten Körper umgehen konnte – ein ulkiger Wonneproppen, der sich für keine Rolle zu schade war. Ob „Immer die Autofahrer“ oder „O sole mio“, ob „Tante Trude aus Buxtehude“ oder „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“, ob „Drei Liebesbriefe aus Tirol“ oder „Drillinge an Bord“ – die Filme erfüllten immer das, was ihre Titel versprachen: Unterhaltung auf schrägstem Niveau.

Die großen Rollen waren Trude Herr nicht anvertraut, aber ihr reichten schon zwei Minuten Hula-Twist mit Dunkelhäutigen („Unsere tollen Tanten in der Südsee“), um sich vieler Schenkelklopfer im Publikum sicher zu sein. Wer politisch korrekt denkt, wird heute dabei wahrscheinlich das große Augenrollen bekommen. „Es waren keine Geniestreiche“, hat Trude Herr später einigermaßen selbstkritisch befunden, „aber es waren technisch gut gemachte Filme – und es waren gute Rollen für mich drin.“

Mehr als eine Stimmungskanone

Man begeht einen Fehler, wenn man Trude Herr auf die Stimmungskanone dieser Unterhaltungsfilme festlegen wollte. Es steckt schon einiges mehr in dieser Sängerin und Schauspielerin, die im Industrieproletariat von Köln-Kalk und Köln-Mülheim aufgewachsen ist. Der Vater war Lokomotivführer und Mitglied der Kommunistischen Partei, seine am 4. Mai 1927 geborene Tochter Trude bekam ihn während der Nazi-Zeit selten zu Gesicht, die Machthaber sperrten ihn ins Gefängnis und ins Konzentrationslager. Die Kindheit war nicht einfach, und wie so vieles in ihrem Leben hat Trude Herr das in einem Lied festgehalten.

„Manchmol“ ist ein schönes Beispiel für die poetische Kraft, die Trude Herr entwickeln konnte. Aus dem Kölschen übertragen, liest sich das so: „Wenn ich an meine Kindheit denk’, viel wurde mir da nicht geschenkt. Zum Namenstag ein Ball, das war dann schon alles, Weihnachten Soße mit Fleisch und Aachner Printen. Auf dem Herd eine Kanne mit Malzkaffee, ein Zimmer im Proletenlook, das Fenster ging zum Hof. Da saß als Kind ich oft und schaute in die Luft, den blauen Himmel, und manchmal, da dachte ich doch glatt, ich könnte fliegen, wie Vögelchen mit dem Wind.“

Erst Bäckerei, dann Büro: Zur Bühne kam sie auf Umwegen

Sie hat das Fliegen gelernt, wenn auch auf Umwegen, denn zunächst gibt es Arbeit in einer Bäckerei und als Schreibkraft in der Stadtverwaltung von Dillenburg. Das Ziel freilich ist die Bühne, beim Kölner Millowitsch-Theater bekommt sie die ersten Nebenrollen. Der Versuch einer eigenen Lustspielbühne geht 1949 gründlich schief, als Bardame im vorzugsweise von Homosexuellen besuchten Kölner Szene-Lokal „Barberina“ sichert sie sich den Lebensunterhalt.

Und dann kommt der Karneval. Trude Herr entdeckt die Bütt als Startrampe für den künstlerischen Höhenflug. Das geht nicht immer gut, das dicke selbstbewusste Mädchen mit der klaren Haltung eckt gerne an bei den organisierten Klatschmarsch-Karnevalisten, mit bürgerlicher Selbstzufriedenheit hat sie es nicht, in einem Lied macht sie das sehr deutlich: „Ich sage, was ich meine, geh’ ich daran auch kaputt. Schade ich mir auch selbst, ich krieche keinem in den Arsch. Man hat doch ein Herz noch, nen Kopf, ein Gewissen. Und seine Meinung verkauft man nicht auf dem Markt.“

Trude Herr ist eine sehr besondere Nummer im Kölner Karneval, ein Kritiker hat das 1956 ziemlich hellsichtig erkannt: „Hier hatte sich ein Stück Kunst mit kölschem Klamauk vermählt. Heute gibt es Fachleute, die Trude Herr chaplinsche Nuancen nachsagen, die erkennen wollen, dass ihr Witz in der Tiefe menschlicher Unzulänglichkeit gründet und ihre schauspielerische Kraft ausreicht, die Tragik des Lebens mit warmblütigem Humor zu umgeben. Kein Zuhörer wird jedenfalls leugnen, dass Trude Herr in ihren besten Stunden vermag, die Augen feucht und die Mundwinkel lächeln zu machen.“

Heidi Schüller, ehemalige Leichtathletin, Ärztin, Moderatorin, hat vor Jahren für den Spiegel Trude Herr porträtiert: „Sie hat“, schreibt sie, „einfach von allem zu viel. Ein riesiges Gesicht, zu viel Lila um die Augen, zu lange falsche Wimpern, zu schwarz gefärbtes Haar. Ein Gesicht wie ein Paukenschlag, wuchtig und dominierend.“ Und sie mutet sich selbst zu viel zu, darf man hinzufügen. Zu viele Auftritte, Filme, durchgefeierte Nächte, zu viel Essen und Zigaretten. Trude Herr ist eine Selbstausbeuterin. Mehrere Operationen und mehrere Bypässe halten sie am Leben.

Reisen durch die Wüste wurden zu ihrem Überlebensprogramm

Die Wüste gibt ihr Kraft. Seit 1964 gehören Wüstenreisen zu ihrem Überlebensprogramm. Auf drei Pisten durchquert sie die Sahara, reist durch Marokko, Algerien, Libyen, den Tschad, Westafrika und Obervolta. Eine komplette Foto- und Filmausrüstung ist immer dabei, denn Trude Herr hat große Filmpläne. Sie hat Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ gelesen, sie möchte die Geschichte von Rahel und Jakob verfilmen. Es gehört zu den großen Enttäuschungen in ihrem Leben, dass sie auf ihrem Material sitzen bleibt, dass ihr die Kilometer von Zelluloid kein Fernsehsender, kein Filmverleih abnehmen will. Sie heiratet den erheblich jüngeren Tunesier Ahmed – ein großes Missverständnis, das nach einigen Jahren mit der Scheidung endet.

Was bleibt, sind wiederum Texte von einer ganz eigenen, zärtlichen Poesie: „Ihre liebsten Kinder jedoch, die Nomaden, die Reisenden, die Ruhelosen nimmt die Wüste liebevoll in ihre Arme. Jene sind die Söhne der Wolken, die das Unstete lieben. Sie sind hingegeben an das für sie Unberechenbare. Aus der Weite und der Leere erwächst ihnen der Rausch der Ungebundenheit. Sie, die Ewiggetrie-benen, fühlen sich in ihr geborgen.“

Trude Herr, diese Ewiggetriebene, diese Ruhelose, stürzt sich noch einmal in ein Kölner Abenteuer. Im September 1977 eröffnet sie in Köln in der Severinstraße ihr „Theater im Vringsveedel“. Sie hat ehrgeizige Ziele, sie will ein anderes, aktuelleres Volkstheater machen, weg von den großbürgerlichen Stücken, in denen „ein Dienstmädchen laufende Meter Kommerzienräte aufs Kreuz legt“. Und wieder betreibt sie Selbstausbeutung in großem Stil: Sie schreibt die Stücke selbst, sie inszeniert sie selbst, sie spielt, natürlich, selbst die Hauptrolle. Das Konzept funktioniert: Das Theater im Vringsveedel ist für Jahre die bestausgelastete Bühne in Nordrhein-Westfalen. Kölns Politiker lassen sich gern in den Premieren sehen, zu einer Subventionierung freilich sind sie nicht bereit.

Rückzug auf die Fidschi-Inseln

Nach zehn Jahren schließt Trude Herr den Vorhang, zieht sich auf die Fidschi-Inseln zurück, um nur noch zu schreiben. Jürgen Flimm, wie sie in Köln aufgewachsen und von 1979 bis 1985 Intendant des Kölner Schauspielhauses, schreibt unter dem Titel „Kölsche Apokalypse“: „Trude lässt den Vorhang runter, und nimmer kehrt sie wieder. Wer haut denn nun die Leute auf die Köppe? Wer beleidigt nun das Estäblischment, zieht es an langen Ohren durch den Kakao und lässt es den noch trinken? Wer soll da noch zo Fuß noh Kölle jon? Komm zurück ins Veedel, da gehörst Du hin – das rauhe Herz am linken Fleck, Du Duse der Severinstraße!“

Trude Herr kommt 1991 nach Köln zurück. Aber sie ist nur auf der Durchreise. In Lauris, einem kleinem Dorf in Südfrankreich, findet sie ein neues Domizil. Dort stirbt sie am 16. März 1991 an Herzversagen. Ihr Vermächtnis hat sie schon 1987 aufgenommen, das Album „Ich sage, was ich meine“. Darin findet sich der eigene Abschiedsgruß, den sie zusammen mit Wolfgang Niedecken und Tommy Engel interpretiert: „Niemals geht man so ganz“.

Und wieder fasziniert der leise, nachdenkliche Ton, den die gern auf Krawall und Klamauk, auf Anarchie und Aggression gebürstete Sängerin und Schauspielerin anschlagen kann. Das ist ihre Kunst: das Komische und das Tragische miteinander zu verweben. So wie in ihrem Stück „Fröhliches Beileid“: Sie schlüpft in ein Totenhemd und macht im Leichen-Outfit hemmungslos Späße. Doch am Ende sitzt sie, ganz in sich gekehrt, am Bühnenrand und singt mit nachdenklicher Unerbittlichkeit: „Einmal bist du fort, ob du willst oder nicht“.

Buch-Tipp: Trude Herr – Niemals geht man so ganz. Ihr Leben. Aufgezeichnet von Gérard Schmidt. Bastei-Lübbe, 320 S., derzeit nur antiquarisch erhältlich

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