Neue-Musik-Festival in Köln "Acht Brücken": Düstere Europa-Passion zum Auftakt

Köln · Georges Aperghis ist beim diesjährigen Festival Composer in Residence. Zum Auftakt war seine fesselnde Vertonung von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ in der Philharmonie zu erleben.

 „Die Hamletmaschine“ unter Leitung von Bas Wiegers.

„Die Hamletmaschine“ unter Leitung von Bas Wiegers.

Foto: Thomas Brill

Am Anfang steht eine Behauptung: „Ich war Hamlet“, sagt der Hamletdarsteller in Heiner Müllers Dramenkonzentrat „Die Hamletmaschine“. Dass er es in der Vergangenheitsform spricht, ist nicht ohne Bedeutung. Denn später wird der Darsteller eine gegenteilige Position einnehmen: „Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen.“

Es ist, als ob Heiner Müller in seinem 1977 während einer Übersetzungsarbeit an dem Shakespeare-Klassiker geschriebenen, nur neun Seiten langen Text auch die Form des Dramas selbst verabschiedete. Müllers Hamlet-Paraphrase ist ein schonungsloser Blick auf das Europa des 20. Jahrhunderts als eine Epoche brutaler Gewalt und Unmenschlichkeit – und vor allem: Sprache gewordener Schmerz in fünf Akten.

Müllers faszinierende Hamletmaschine regte schon verschiedene Künstler ganz unterschiedlicher Herkunft zu Bearbeitungen an, darunter den Karlsruher Neutöner Wolfgang Rihm, der in den 1980er Jahren daraus eine abendfüllende Oper machte, und die experimentelle Berliner Industrial-Band Einstürzende Neubauten, die in den letzten Tagen der DDR aus dem Text ein sehr eindringliches Hörspiel machte, in dem neben Blixa Bargeld auch Müller selbst zu hören ist.

Zum Jahrtausendwechsel endlich nahm sich der seit den 1960er Jahren in Paris lebende griechische Komponist Georges Aperghis des Werkes an. Mit seiner Version der Hamletmaschine wurde das Kölner Neue-Musik-Festival „Acht Brücken“ in der Kölner Philharmonie eröffnet, das Aperghis als Composer in Residence präsentiert.

Pessimistischer Stoff

Man erlebte an diesem Abend ein großartiges, eindrucksvoll dargebotenes musikalisches Werk von kaum mehr als 60 extrem intensiven Minuten Dauer. Für Aperghis, der gern als ein freundlicher, in sich ruhender Mensch beschrieben wird und diesen Eindruck auch bei seiner Präsenz in der Philharmonie bestätigte, war die Beschäftigung mit dem düsteren und pessimistischen Stoff eine Qual.

Der Text habe ihn regelrecht angegriffen und krank gemacht, verriet der heute 73-jährige Komponist einmal. Dennoch hielt er daran fest, weil er in ihm eine kaum zu übertreffende Zeichnung des 20. Jahrhunderts fand, auf das er zur Jahrtausendwende mit seinem Werk zurückblicken wollte.

Wie in Köln zu hören war, geht es Aperghis keineswegs darum, Müllers komplexen, facetten- und anspielungsreichen Text, der keiner sichtbaren Logik folgt, zu entwirren. Er verhilft ihm nicht zu mehr Klarheit, aber auf jeden Fall zu einer anderen, neuen Ausdrucksebene, indem er aus dem Text ein Oratorium für Solisten, Chor und kleines Orchester formt – eine Europa-Passion. Insofern ist das Stück heute nicht weniger aktuell als in der Zeit seiner Entstehung vor zwei Jahrzehnten.

Der Beginn aber ist zart wie Ophelia. Geneviève Strossers Bratsche kontrapunktiert ein hingeworfenes Motiv mit einem hohen Halteton.

Doch diese Einleitung zum ersten, von Müller mit „Familienalbum“ überschriebenen Teil ist trügerisch und wendet sich ziemlich bald in ein erstes instrumentales und chorvokales Chaos.

Wie überhaupt zarte Momente und heftigste Ausbrüche immer wieder hart miteinander kontrastieren. Dabei singt der Chor (SWR Vokalensemble) den Text auf Deutsch, während die Gesangssolisten (Sarah Aristidou, Sopran, Holger Falk, Bariton, Romain Bischoff, Bariton) ihre Partien überwiegend auf Französisch singen.

"Was du getötet hast sollst du auch lieben"

Die Originalsprache taucht auch in vokalen Abschnitten der Bratschistin und in einem Solo des Schlagzeugers Christian Dierstein auf, der, während er eine Murmel in einer Art Schüssel kreisen lässt, die Stimme aus dem Sarg intoniert: „Was du getötet hast, sollst du auch lieben“, wiederholt er immer wieder, während er sich neu ansetzend Stück für Stück durch die folgenden Zeilen arbeitet.

Beeindruckend waren auch die Leistungen des SWR Vokalensembles, das Ausdruck, Dynamik und die anspruchsvolle Intonation perfekt umzusetzen verstand, und der Instrumentalisten von Asko/Schönberg. Die Musiker zeichneten unter der Leitung von Bas Wiegers ein konturenscharfes Bild dieser hochkomplexen Partitur.

Das Publikum in der leider kaum halb gefüllten Philharmonie war begeistert.

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