Bayreuther Festspiele Parsifal bei den Fundamentalisten

Regie-Schwächen, aber musikalisch hinreißend: Premiere von Richard Wagners Oper Parsifal bei den Bayreuther Festspielen

 Erfrischung im schwülen Festspielhaus: Klaus Florian Vogt (Parsifal) planscht mit Klingsors Zaubermädchen.

Erfrischung im schwülen Festspielhaus: Klaus Florian Vogt (Parsifal) planscht mit Klingsors Zaubermädchen.

Foto: Enrico Nawrath

Dieser Tage kam vom Grünen Hügel eine ebenso drollige wie bedenkliche Meldung. Die Bayreuther Polizei hatte eine Datenabfrage über sämtliche Bedienstete der Wagner-Festspiele durchgeführt. Ergebnis: 35 Bedienstete waren aktenkundig mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und zwar wegen Gewaltverbrechen. Dies nährt die gerade in Bayreuth gültige Erkenntnis, dass Wagner alle magisch anzieht, auch das Gesindel. Freilich wäre die Polizei bass erstaunt gewesen, wenn sie das Screening auf die Figuren des Parsifa ausgeweitet hätte: Auch hier hat fast jeder Dreck am Stecken. Parsifal? Schießt einen Schwan vom Himmel. Klingsor? Nimmt Gralsritter in Geiselhaft. Kundry? Verführt selbige. Gurnemanz? Langweilt mit seinen Erzählungen zu Tode.

Ja, über Parsifal hängt der Fluch, dass sich dieses Stück kaum mehr stimmig erzählen lässt. Die Figuren sind heute nicht einmal mit frommster Nachsicht zu ertragen. Deswegen wird die Oper fortwährend psychoanalysiert, hinterfragt, neu erzählt, räumlich verlagert. Bei der Bayreuther Festspielen sind wir jetzt im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris angekommen, wir schauen in eine kleine christliche Kirche mit maurischer Architektur, die von Angriffen einer vermutlich islamistischen Terrormiliz massive Bauschäden davongetragen hat. Diese Christen sind aber keine Lämmer, sie feiern ihren Glauben selbst mit dem Ingrimm von Gotteskriegern, und wenn sich ihr Gralskönig Amfortas zur Enthüllung des Grals eine Dornenkrone aufsetzt, rinnt ihm wie dem Gekreuzigten Blut aus der Seite. Gurnemanz bietet uns seine Litaneien wie ein Professor im Fach Fundamentalismus, der seine Emeritierung ignoriert und weiter lehrt. Es kommen auch Touristen in diese heilige Oase mitten in der Wüste und bringen Gefäße mit, als sei dieses chaldäische Kirchlein eine Dependance von Lourdes.

Klingsor bemüht sich, ein vorbildlicher Muslim zu sein

Das hat sich der Regisseur Uwe Eric Laufenberg intelligent ausgedacht, er kann so den Religionskonflikt im Parsifal beinahe zeitgemäß einfangen, und der zweite Aufzug zeigt dann auch, wohin diese Geschichte führt: Klingsor, der gefallene Gralsritter, bemüht sich nach Kräften, ein vorbildlicher Muslim zu sein, doch schon wenn er seinen Gebetsteppich auslegt, weiß er nicht, wo Osten ist. Es ist wohl auch der falsche Prophet für ihn; denn heimlich hat er Kruzifixe gelagert und Peitschen zur Selbstgeißelung, als komme er vom alten Glauben nicht los.

Als Versuchsanordnung ist das schön. Leider funktioniert es auf der Bühne nicht, weil die „Parsifal“-Musik weder Ironie noch ideologische Umdeutung verträgt. Denn das hier auf der Bühne sind, wie gesagt, keine mythischen Oldies aus dem Mittleren Osten, die Scharaden aufführen; nein: Laufenberg probiert den realistischen Transfer in den heutigen Irak. Und dann entsteht eben Kintopp, wenn Parsifal im zweiten Akt wie ein GI mit Maschinenpistole in Klingsors Zauberburg (ebenfalls eine Kirche) stürmt. Zu seinem Entzücken wird er dort jedoch von jungen Bauchtänzerinnen animiert, die im schwülen Festspielhaus die bestmögliche Arbeitskleidung anlegen durften. Noch weniger Textilien sind in der legendären Karfreitagsaue im dritten Akt erlaubt: Bei dieser naturszenischen Völlerei, Wagners ebenso vorsätzlichem wie wundervollem Ausrutscher in den Sakralkitsch, räkeln sich einige junge Damen unter warmen Regengüssen aus dem Schnürboden so naturbelassen, wie Gott sie schuf. Am Ende ziehen alle in feierlicher Prozession einem Licht auf der Hinterbühne entgegen, und Parsifal trägt einen schwarzen Anzug, als sei es jetzt eine konzertante Aufführung.

Warum klappt das nicht als Interpretation? Weil man das weise Papier der Dramaturgie zu stark spürt, das sich nicht glaubwürdig mit Leben auf der Bühne füllen mag. Weil die Konkretheit der Bilder mit der sinnlich verdunkelten Musik nicht zusammenfindet. Nur einmal stellt sich ein faszinierender Moment ein: wenn sich der Regisseur von seinem Erzähltheater löst und zur Verwandlungsmusik im ersten Akt den Spruch des Gurnemanz („Zum Raum wird hier die Zeit“) videokünstlerisch umdeutet. Da zoomt eine Kamera wie bei Google Earth von der Kirche aus rasant hoch ins All, saust an den Sonnen-Protuberanzen der Sonne vorbei ins Orbit, als säßen wir auf der Kommandobrücke der „Enterprise“, dort kommt es zu lustigen Beinahe-Kollisionen, und dann schießt die Kamera wieder zurück in unser verlorenes Kirchlein, als sei die Reise eine Fata Morgana und sonst nichts gewesen. Aber diese galaktische Exkursion beweist eben doch, dass Laufenberg seinem eigenen Regiekonzept nicht lückenlos traut.

Ein bisschen schade ist das schon, vor allem weil Hartmut Haenchen am Pult des Festspielorchesters nach Kräften hilft, einen Thriller um bedrängte Christenheit mit zeitgemäßen Tempi zu begleiten. Hinreißend macht das der Dirigent, der ja für Andris Nelsons eingesprungen ist; er scheut nicht vor dem Adagio zurück, dem süßen langsamen Strömen der Musik, zugleich bewältigt er auch die prozesshaften Strecken mit fließender Genauigkeit; und in den Details ist er griffig nah an den Noten. Das ist eine Parsifal-Lesart, die in ihren vielen besten Momenten an den unvergessenen Pierre Boulez erinnert.

Bei den Sängern ist es der grandiose Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der uns lehrt, wie man Wagner singt: kantig in der Deklamation, balsamisch in der Flut der Stimme, weit im Ansatz. Schöner geht das nicht. Bayreuthianer, die den „Parsifal“-Text kennen, waren bei der großartigen, doch etwas undeutlichen Elena Pankratova klar im Vorteil. Klaus Florian Vogt singt den Parsifal markant, ein tapferer Held mit nordischer Herkunft und etwas weißer Stimme. Es fehlt da ein bisschen Bronze im Timbre. Fast zu viel Erz verbreitet hingegen der Festspielchor, vor dem sogar IS und Taliban gemeinsam in die Knie gehen würden. Hinterher entspannter Jubel. Wenn schon keine rauschenden Empfänge in diesem Jahr, dann muss der Rausch halt im Saale stattfinden. Und der Fundamentalismus fand ja auch nur auf der Bühne statt.

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