DVD-Tipp: Dokumentation über Nick Cave Kunst kommt von Kampf

„One More Time With Feeling“: Eine Dokumentation über Nick Cave ist auf DVD und Blu-ray erschienen. Eine bewegende Erfahrung.

 Regisseur Andrew Dominik (rechts) mit Nick Cave, dessen Frau Susie und Sohn Earl.

Regisseur Andrew Dominik (rechts) mit Nick Cave, dessen Frau Susie und Sohn Earl.

Foto: pr

Das Gedicht „Funeral Blues“ des englischen Autors W. H. Auden ist vielen Menschen seit dem Kinofilm „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ ein Begriff. Die Zeilen „Stop all the clocks, cut off the telephone, / Prevent the dog from barking with a juicy bone, / Silence the pianos and with muffled drum / Bring out the coffin, let the mourners come“, entfalteten in einer Trauerfeier im Film eine ungeheure Wucht. Der Alltag, die Welt, ja das ganze Universum sollen innehalten.

Warum das alles? Ein geliebtes Wesen, sei gestorben, nichts sei mehr wie zuvor. Das im April 1936 entstandene Gedicht endet mit dem niederschmetternden Fazit: „For nothing now can ever come to any good.“

Der australische, in England lebenden Popstar Nick Cave hat ein Lied geschrieben, das von Auden inspiriert sein könnte. „Distant Sky“ vom 2016er-Album „Skeleton Tree“ hebt mit den Worten an: „Let us go now / My one true love / Call the gasman / Cut the power off.“ Der Song steigert sich in ein bewegendes Lamento. Nichts gilt mehr. Sie hätten uns gesagt, unsere Götter würden uns überleben, sagt das lyrische Ich. Und unsere Träume würden uns überleben. „But they lied.“

Nick Caves Sohn Arthur ist im Juli 2015 im Alter von 15 Jahren bei einem Sturz von den Klippen an Englands Südküste tödlich verunglückt, offenbar unter Drogeneinfluss. Cave arbeitete mit seiner Band The Bad Seeds gerade an seinem Album „Skeleton Tree“. Der Musiker wollte zur Veröffentlichung des Albums keine Interviews geben. So entstand die Idee, stattdessen eine Dokumentation zu realisieren. Der australische Regisseur Andrew Dominik drehte „One More Time With Feeling“ in edlem Schwarz-Weiß und in 3D.

Der Film, der jetzt in unterschiedlichen Editionen auf DVD und als Blu-ray herausgekommen ist, zeigt, wie der Sprachmagier Cave unablässig redet, analysiert und rationalisiert. Er weigert sich aber, sich ein tröstendes Gebäude aus Worten zu bauen, um den Verlust besser ertragen zu können. Cave macht sich keine Illusionen darüber, dass er die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Auch äußerlich. „Fuck, what happened to my face?“, fragt er sich einmal beim Blick in den Spiegel. Die prallen Tränensäcke seien neu. Dabei gehe der Popstaralltag weiter. „Things continue“, sagt er – mit neuen Alben und neuen Tourneen. Am 12. Oktober treten Nick Cave & The Bad Seeds in Düsseldorf auf.

Dominiks kunstvoller und trotz aller Schwarz-Weiß-Stilisierung hochemotionaler Film dokumentiert die Arbeit der Bad Seeds im Studio. Darüber hinaus spricht Cave während einer Autofahrt und zu Hause in Brighton über Leben und Tod, Kreativität, Trauma und die prophetische Kraft seiner Lieder. Eine Tonspur ist lyrisch verdichteten Reflexionen Caves vorbehalten, die dem Künstler vielleicht erlauben, die Welt wenigstens punktuell mit einer gewissen Distanz zu betrachten.

Caves Frau Susie und sein Sohn Earl kommen ins Aufnahmestudio. Man muss ihren Mut bewundern, sich dem unbarmherzigen Kamerablick auszuliefern. In vielen Szenen entfaltet die Dokumentation eine eigene poetische Kraft. Eine Kamerafahrt durch ein fast menschenleeres Brighton zeichnet in „One More Time With Feeling“ eine düstere urbane Seelenlandschaft. Apropos Seele und Landschaft. In einer Szene im Haus in Brighton holt Susie Cave ein Gemälde hervor, das Arthur mit fünf oder sechs Jahren gemalt hat. Da ist die Windmühle, sagt sie, ganz in der Nähe, wo Arthur gestorben ist. Ihr Mann sitzt stumm daneben. So sieht Agonie aus.

Die Fertigstellung von „Skeleton Tree“ muss man sich als kreativen Kraftakt vorstellen. Warren Ellis, Multiinstrumentalist und Caves Vertrauter, hielt das Projekt zusammen. „Was würde ich ohne Warren machen?“, fragt sich der Sänger. Die Stücke des Albums erschienen in einem bewusst rauen, wie Cave sagt „nackten“ Zustand. Sie reflektieren die seelische Verfassung ihrer Schöpfer. Der Sänger erkämpfte sich jedes Lied, zum Beispiel „Jesus Alone“ mit der Zeile „You fell from the sky, crash-landed in a field near the River Adur“ und die überwältigende Ballade „I Need You“.

Allein dafür lohnt es sich, den gut zweistündigen Film durchzuhalten. Er endet mit einem Song, den Arthur und Earl Cave gemeinsam mit dem Vater aufgenommen haben: „Deep Water“ von Marianne Faithfull.

Nick Cave & The Bad Seeds: One More Time With Feeling. A Film By Andrew Dominik. DVD und Blu-ray. Kobalt Label Services.

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