Schattenseiten der Mode Wolfgang Kaes' Roman "Das Gesetz der Gier"

BONN · Die Geschichte bezieht ihre Authentizität nicht zuletzt durch die aufwendige Recherche-Arbeit des Autors, der als Redakteur des General-Anzeigers in den vergangenen Monaten durch die Aufklärung des Mordfalles Trudel Ulmen deutschlandweit für Aufsehen sorgte.

Die gute Nachricht zuerst: Antonia Dix ist wieder da. Nachdem Krimi-Autor Wolfgang Kaes in seinem fünften Roman "Bitter Lemon" vorläufig von ihr Abschied genommen hatte, taucht sie nun in seinem neuesten Werk "Das Gesetz der Gier" an einem neuen Arbeitsplatz wieder auf.

Die drahtige, gut durchtrainierte und hochintelligente Beamtin, die niemals ohne ihre lederne Krad-Jacke, dem einzigen Erbstück aus dem Nachlass ihres brasilianischen Vaters, vor die Tür geht, ist vom Bonner Polizeipräsidium nach Köln gewechselt, wo sie nun als Kriminalhauptkommissarin ermittelt. Im aktuellen Fall kreuzen sich ihr Weg und der David Mantheys, den man aus "Bitter Lemon" kennt.

Die schlechten Nachrichten beginnen 126 Seiten vor dieser Begegnung. Der Leser wird Zeuge wie der türkische Arbeiter Erol Ümit im Alter von 21 Jahren qualvoll zu Tode kommt. Ungewöhnlich für einen Krimi: Es handelt sich nicht um einen Mord. Jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Erol Ümit leidet an der Staublunge, an der sonst eher Bergarbeiter erkranken.

Dort, wo er arbeitet, sterben die Menschen aber sehr viel früher als die Unter-Tage-Arbeiter. Professor Zeki Kilicaslan, Chefarzt der pneumologischen Abteilung im Istanbuler Universitätsklinikum (den es im Übrigen wirklich gibt), hat bereits 700 Fälle der tödlichen Krankheit diagnostiziert, als er den jungen Erol zum letzten Mal sieht.

Alle sind sie Opfer der Textilindustrie. Ihre Lungen wurden zerstört, während sie in Kellerfabrikgen Jeans sandstrahlten, die so ihren modischen Used-Look erhielten.

"Jeans werden aufgehellt, unser Leben wird verdunkelt", stand 2009 auf Plakaten bei Demonstrationen in der Türkei gegen diese Praktiken der Textilindustrie zu lesen. Auch der wirkliche Zeki Kilicaslan hatte sich lautstark für das Verbot der gefährlichen Sandstrahler eingesetzt, sein Name ging damals auch durch die deutsche Medienlandschaft.

Die Proteste hatten Erfolg. Mittlerweile ist das Verfahren in der Türkei gesetzlich verboten. In Kaes' Roman wird Kilicaslan zum Märtyrer, und das dramatisch sich zuspitzende politische Geschehen dorthin verlagert, wo das Geld unter anderem verdient wird: nach Deutschland, in diesem Fall nach Köln.

Die Geschichte kommt ins Rollen durch Bernd Oschatz, der als Buchhalter in der Bekleidungsfirma von Otto Hellberg arbeitet und nach seiner Pensionierung spurlos verschwindet. Er wird mit einem lapidaren Satz in die Handlung eingeführt: "Am Morgen des 30. Oktober hatte Bernd Oschatz nicht die geringste Ahnung, dass ihm nur noch 26 Tage bis zu seinem Tod blieben."

Man weiß also, woran man ist - auch wenn man es im Verlauf der Geschichte gern ein bisschen verdrängen möchte. Denn der alte Mann wächst einem ans Herz. Über drei Millionen Euro hat er aus der elektronischen Firmenkasse mitgehen lassen und zum größten Teil an Organisationen verteilt, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen.

Eine Viertelmillion erhalten auch die Aktivisten von Rebmob. Das griffige, nicht zufällig an Flashmob erinnernde Kürzel steht für "Rebellierende Massen/Deutsche Internet Aktionsplattform des internationalen Prekariats", eine revolutionäre Zelle gewissermaßen.

Oschatz und Rebmob verbindet der Kampf gegen die dunklen Machenschaften der Mode-Industrie, deren Gewinnmarge durch die Verlagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer und trotz Discount-Preisen für die Endkunden saftig bleibt.

Die Kölner Familie Hellberg gehört zu diesen Profiteuren. Vor allem Otto Hellberg und seine Schwiegertochter Nina handeln rücksichtslos nach dem Gesetz der Gier. Auch sie suchen Bernd Oschatz, der neben der Millionensumme auch noch ein paar wichtige Dokumente in seinen Besitz gebracht hat.

Kaes verbindet in seinem Roman die Erzählungsfäden mit großem Geschick. Schon bemerkenswert, wie die zunächst ganz privat motivierte Suchaktion David Mantheys nach Bernd Oschatz in die Geschichte implantiert und zu ihrem Rückgrat wird. Zum Krimi im eigentlichen Sinne wird der Roman mit dem Mord an den türkischen Professor, der auf dem Weg zu einer Verabredung mit Nina Hellberg von einem Unbekannten totgefahren wird.

Die Aufklärung erfolgt allerdings weniger nach dem klassischem Krimimuster, sondern ergibt sich fast beiläufig im Laufe der Erzählung, die vor allem die "brutale Schattenseite der Globalisierung und die mitunter kriminellen Folgen für unsere Gesellschaft" zum Thema hat, wie Kaes in einem Interview darlegt.

Die Geschichte bezieht ihre Authentizität nicht zuletzt durch die aufwendige Recherche-Arbeit des Autors, der als Redakteur des General-Anzeigers in den vergangenen Monaten durch die Aufklärung des Mordfalles Trudel Ulmen deutschlandweit für Aufsehen sorgte.

Hier nun legt er ein Buch vor, das nicht nur spannend geschrieben ist, sondern auch noch nach der Lektüre lange nachwirkt: Man wird keine gebleichte Jeans mehr anziehen können, ohne an Erol Ümit zu denken.

Wolfgang Kaes: Das Gesetz der Gier, Krimi, 320 S., C. Bertelsmann, 19,99 Euro. Lesungen in der Region u.a. am 7.9. im Kölner Sportmuseum, am 8.9. im Rahmen der Krimitage Nordeifel in Bad Münstereifel, am 10. 9. in der Mayener Bücherstube, am 12.9. in der Königswinterer Gaststätte Lichtenberg, am 1.10. in der Bad Godesberger Buchhandlung Bosch, am 2.10. im Katholischen Pfarrzentrum Swisttal-Odendorf.

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