Helen Schneider in der Harmonie Wenn Träumer erwachen

Bonn · Die Sängerin Helen Schneider macht auf ihrer „Collective Memory“-Tour Station in der Harmonie. Sie lieferte ein Erlebnis aus autobiografisch grundierten Geschichten und Gesang.

 Neuerdings erblondet: Helen Schneider im Konzert. FOTO: SCA

Neuerdings erblondet: Helen Schneider im Konzert. FOTO: SCA

Foto: Schnabel

Zu den schönen Traditionen von Konzerten in der Harmonie gehört es, dass Künstler nach dem Auftritt Alben verkaufen und Cover signieren. Helen Schneider hätte nach ihrem inspirierenden Konzert viele Vinylexemplare ihres jüngsten Albums „Collective Memory“ an die Fans weiterreichen können. Doch sie hatte nur noch zwei im Angebot. Liebhaber ihrer Musik im Stil der Singer/Songwriter der 60er und 70er Jahre verlangt es nach analogen Tonträgern. Der Vinylvorrat war im Laufe der „Collective Memory“-Tour schnell erschöpft.

Eine zarte, zerbrechlich erscheinende Sängerin präsentierte sich dem Publikum. Doch die schmale Silhouette sollte nicht täuschen. Mit tiefer, sinnlicher Stimme stieg die 64-Jährige in den ersten Song des Abends ein. Begleitet von Jo Ambros an der Gitarre und Oliver Potratz am Kontrabass sang sie „Dreamtime“, eine Meditation über längst vergangene Zeiten, als Träumer aus ihrem Schlaf erwachten und einen Plan ersonnen, um die Welt zu verändern: „to bring awakening to the land“.

Schneiders Konzert in der Harmonie verweigerte sich konventionellen Mustern. Sie lieferte ein Erlebnis aus Wort und Musik, aus autobiografisch grundierten Geschichten und Gesang. Zu den wichtigsten Themen der von Jo Ambros und Linda Uruburu geschriebenen Songs gehörte das Alter. Motive wie Vergänglichkeit, Vergessen und Tod rief die Sängerin ein ums andere Mal auf. Depression auch.

Kriegt man da als Zuhörer nicht den Blues? Im Gegenteil, Helen Schneider kleidete ihre musikalischen Miniaturen kunstvoll ein. Ihre Stimme setzte kraftvolle Akzente, wenn es beispielsweise darum ging, den Vietnamkrieg kritisch zu reflektieren. Im Flüsterton oder in intensivem Piano widmete sie sich den letzten Dingen und den schwarzen Löchern in ihrem Leben: „In my darkest days I can see your face.“ Wie gesagt, Schneiders Gesangskunst machte selbst niederschmetternde Zeilen zum Ereignis. Die musikalischen Begleiter Ambros und Potratz unterstützten die neuerdings erblondete Sängerin mit minimalistischen, gleichzeitig hochintensiven Tönen.

Für einen Song spiegelten sie die Metropole New York in den 80er Jahren mit einem urbanen, coolen Sound. Danach verwandelte Potratz seinen Kontrabass in einen seufzenden, seelenvollen Klangkörper. In ihrem unwiderstehlichen Deutschamerikanisch plauderte Helen Schneider sich durch den Abend. Mit Witz und, wenn nötig, Pathos erzählte sie unter anderem von Mutter, Vater und dem verstorbenen Lebenspartner. „Ich rede zu viel“, gab Schneider selbstkritisch zu Protokoll. Mag sein, aber auf die vielen Worte folgte gleich wieder ein starkes, bewegendes Lied.

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