Ausstellung Was die Gesellschaft zusammenhält

Bonn · Informativ und ironisch: Die gelungene Ausstellung „Mein Verein“ im Bonner Haus der Geschichte bewegt sich im Spannungsfeld von Tradition, Heimat, Identität und bürgerschaftlichem Engagement.

Man sitzt zusammen in einer schummrigen Kneipe und diskutiert über einen Vereinsnamen. „Unser Verein wird die Begriffe Frau und Umwelt in den Karnevalsagedanken einbringen“, was sich auch im Namen niederschlagen müsse, führt ein Herr Kempe aus. Ein anderer Herr reklamiert, der Karnevalsgedanke müsse dabei Vorrang haben. „Also: Verein für Karneval trotz Frauen und Umwelt...?“, wirft ein Herr Winkelmann ein, während der Kellner die Bestellung der Vereinsmeier zusammenfasst – „Zwei Bier, drei Tee, ein Hagebuttentee, ein Wein, eine Schlemmerschnitte“ – und ein weiterer Herr beschwörend sagt, mit Frau, Umwelt und Karneval habe man drei ganz, ganz heiße Eisen im Angebot. Wer kennt sie nicht, diese wunderbare, satirisch beleuchtete Sequenz aus Loriots Spielfilm „Ödipussi“. Mit ihr eröffnet das Haus der Geschichte seine sehr gelungene Foyerausstellung „Mein Verein“.

Das Haus der Geschichte wird zum Vereinsheim – und kein Klischee wird ausgelassen. Bis man in bewährter Gründlichkeit zu den Inhalten kommt, zum Vereinswesen und dessen politischer und gesellschaftlicher Relevanz, bis man eintaucht ins Spannungsfeld von Tradition, Heimat, Identität und bürgerschaftlichem Engagement. Ein sehr weites Feld, wie Hans Walter Hütter, der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, angesichts von 600 000 Vereinen in Deutschland, 4300 allein in Bonn, sowie einem hohen Organisationsgrad, einräumt. 44 Prozent der Bundesbürger sind in mindestens einem Verein Mitglied.

Und Hütter berichtet von engagierten Debatten, allein schon über die Auswahl des „richtigen“ Fußballvereins für die Schau. Da gingen die Meinungen schwer auseinander. Man entschied sich für den FC Schalke 04. Warum? Noch heute spielen die Kicker der Bundesligamannschaft nicht in einem Konzern oder einer Aktiengesellschaft, sondern in einem eingetragenen Verein, der seine Mitglieder von der Wiege bis zur Bahre begleitet.

Letzte Ruhe auf dem Schalke-Friedhof

Der Weg des Schalkers startet nach der Entbindung in der „Schalke-Suite“ im Marienhospital in Gelsenkirchen-Buer und mit einem königsblauen Strampler, auf dem unter dem Vereinslogo „Neuzugang“ steht. Getauft wird in der Veltins-Arena, in deren Sichtweite auch die letzte Station liegt. Nach dem Schlusspfiff des Lebens wird der echte Schalker auf dem in Form eines Stadions angelegten Schalke-Friedhof im Stadtteil Beckhausen-Sutum begraben.

Mit viel Liebe zum Detail wird der Vereinskosmos ausgebreitet, bis hin zur engen Verwobenheit der bergmännischen Tradition mit dem Ballsport. Das Schützenwesen – hier konzentriert sich die Schau in einer herrlichen Dokumentation auf Neuss und Mönchengladbach – wird in der Schau ebenso beleuchtet wie der Kölner Karneval. Auch das ein riesiges Feld. Man wählte den ältesten Verein, die „Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e.V.“, die sich in augenzwinkernder Opposition zu der preußischen Besatzungsmacht gründeten und bis auf das Funkenmariechen keine Frauen zulassen. „Die Funken sind eine Männergesellschaft, da sind wir stolz drauf“, sagt ein Zeitzeuge. Ein ehemaliges Mariechen findet das ganz okay. Weitere Funken klären das Besucherpublikum über Begriffe wie Ballotage und Knubbel auf. Auch der Klüngel via Karneval ist ein Thema.

Locker und mit leicht ironischem Unterton, Hirschgeweih und Vereinsheimtapete inklusive, entführt die exzellente Ausstellung in die teils bizarre, teils hoch komplexe Welt der Satzungen, Regularien und Vereinszwecke. Die Deutschen sind Vereinsweltmeister – und großteils alles andere als tumbe Vereinsmeier. Ob es um die deutsch-deutsche Neue Bachgesellschaft geht, um den Verein zum Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche, um die jenseits reiner Datschen-Seligkeit gelagerte Kleingartenbewegung in der DDR, um die hohe Integrationskraft von Fußballvereinen und die 600 „Tafeln“ in ganz Deutschland, die Hungrige mit Essen versorgen – Vereine erfüllen zunehmend wichtige gesellschaftliche Funktionen. Angesichts der „Tafeln“ (1993 gab es nur vier in Deutschland) formuliert die Schau die Kritik, ob Vereine inzwischen nicht Lückenbüßer für Versäumnisse des Staates sind.

Am Ende der Schau bedanken sich etliche Bundespräsidenten in ihren Weihnachtsansprachen bei den Ehrenamtlichen. Christian Wulff meinte 2010 gar: „Ehrenamtliche leben länger.“

Haus der Geschichte, Bonn; bis 4. März 2018. Do-Fr 9-19, Sa, So 10-18 Uhr. Eintritt frei

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