Ausstellung im Kunstmuseum Bonn Verwirrende Perspektiven von Thomas Huber

Bonn · Verwirrende Perspektiven in Thomas Hubers Ausstellung „Am Horizont“ im Kunstmuseum Bonn: Rund 90 Arbeiten der Jahre 2009 bis heute demonstrieren mit viel Witz und einer erotischen Komponente die Grenzen von Geometrie und Perspektive.

 Thomas Huber im Kunstmuseum vor seinen Bild „L'Enseigne (Das Ladenschild)“ von 2014, in dem er sich auf Antoine Watteaus berühmtes Galeriebild bezieht. Geblieben ist der Hund rechts unten.

Thomas Huber im Kunstmuseum vor seinen Bild „L'Enseigne (Das Ladenschild)“ von 2014, in dem er sich auf Antoine Watteaus berühmtes Galeriebild bezieht. Geblieben ist der Hund rechts unten.

Foto: Thomas Kliemann

"Wie viel Zeit hat ein Bild?“ Ein Künstler, der diese Frage stellt und sehr gut weiß, dass der Ausstellungsbesucher in der Regel nur einen Moment für den Blick aufs Bild erübrigt, ist auf Tricks angewiesen. Er kann sein Gemälde mit optischen Widerhaken versehen, die den Passanten festhalten und fesseln.

Er kann sich auch neben das Bild stellen und den Besucher in ein Gespräch über das Gesehene und Übersehene verwickeln. Genau das macht der Schweizer Thomas Huber per Video in seiner hochspannenden Ausstellung im Kunstmuseum Bonn bei einer „Bildbetrachtung“, was auf Französisch treffender „Arrêt sur image“, Halt am Bild, heißt. Rund 20 Minuten lang erklärt er uns das Werk „Séance“, das mehr wahrnehmungspsychologische Versuchsanordnung als ein wirklich gutes Bild ist. Ein Betrachter sitzt im Raum vor einem Teppich mit oszillierendem Muster. Unter der Auslegeware ragen vier nackte Beinpaare heraus. Weder der Sitzende noch die in der Tür stehende Frau scheinen das zu sehen. Aber wir, die Zuschauer, die irgendwie von der Decke aus diese surreale Szenerie zu ergründen versuchen, sehen es und grübeln.

Zusammen mit Huber gleiten wir ins Bild. Es bekommt die Aufmerksamkeit, die es braucht. Die Zeit steht still, und die Eindrücke verdichten sich zu einer bizarren Geschichte mit doppeltem Boden. „Wachen Sie auf, die Séance ist zu Ende“, ruft der Künstler zuletzt. Seine „Bildbetrachtung“, die Entschleunigung des Museumsbesuchs bei größtmöglicher Sensibilisierung, sei Teil vom „ABC meiner Bildwelt“, wie er sagt. Baustein zu einer Grammatik seiner Kunst, die im Prinzip darin besteht, die Leinwand als zweidimensionale Fläche mittels Geometrie, den Linien der Perspektive, des Horizonts in die Tiefe zu öffnen.

Huber bemüht den Vergleich mit einer Baustelle, in der sich der Bagger durch die plane Oberfläche gräbt. Der witzige Schweizer denkt diesen Vergleich zum absurden Ende weiter: Was geschieht mit Bildaushub, der entsteht, wenn sich Huber malend in die Tiefe vorarbeitet? Dieser Bildaushub materialisiert sich im Gemälde in Gestalt von Schuttkegeln, die mitten im Atelier stehen.

Die erotische Komponente

Zu allem Überfluss erkennt man auf der Oberfläche der rosa Hügel, die da in Hubers Berliner Arbeitsraum zu stehen scheinen, weibliche Geschlechtsteile. Man muss nicht jeder Kapriole des Meisters folgen, aber diese ist so abgedreht und schön, dass man nicht anders kann. Zumal er einen treffenden Grund für die Erotisierung nennt: „Malen bereitet ein unheimliches Vergnügen, aber zielführend ist das Vergnügen meist nicht. Die Libido, die man der Malerei unterstellt, ist ein solcher Haufen, der im Atelier deutlich herumsteht und sehr viel Platz einnimmt.“

Mit höchster schweizerischer Präzision führt der 61-Jährige in seiner Schau, die rund 90 Arbeiten der Jahre 2009 bis heute versammelt, das ABC seiner mitunter akademisch-didaktischen, oft aber mit einem Magritte-haften, geradezu surrealistischen Witz der Täuschung behafteten Kunst vor. Die strenge Perspektive der Renaissance, pure Geometrie also, bildet die Struktur von Hubers akkurat gemalten Sakral- oder Museumsräumen. In denen man sich bald aber nicht mehr zurechtfindet.

Denn die innere Logik folgt anderen Gesetzen. Da wird die Maserung des Parketts einerseits zum Meer, andererseits zum Suchbild, in dem Gesichter auftauchen. Wände werden mürbe, Räume brechen auf, der Raum im Raum ermöglicht Perspektivwechsel, trägt aber auch zur Desorientierung bei. Das Label „You are here“ – Sie befinden sich hier – ist zwar nett gemeint, dient aber kaum der Orientierung in Hubers verschachtelten Räumen.

Das subtile Spiel des Schweizers führt schließlich in ein Kabinett, das unter dem Titel „Vis-à-vis“ an seinen vier Wänden Bilder zeigt, die sich jeweils ergänzen und einen Raumeindruck erzeugen, den Huber „byzantinische Bildauffassung“ nennt. Die Illusion ist perfekt. Werkgruppen wie „Der Rote Fries“ und „Am Horizont“ im zentralen Raum verdichten Hubers Alphabet einer Geometrie, der die Oberhoheit über das Bild trotz schärfster Kontrolle immer wieder entgleitet.

Die Ausstellung endet mit einer hochpoetisch und in Worten kaum zu fassenden Anspielung an Antonie Watteaus wunderbares, einst von einer Pariser Galerie in Auftrag gegebenes Bild „L'Enseigne de Gersaint“ von 1720, das in Schloss Charlottenburg hängt. Huber interpretiert das sogenannte „Ladenschild“ auf seine Genfer Galerie Skopia um, säkularisiert die heilige Kunsthalle Watteaus. Einzig den Hund in der rechten Ecke des Watteau-Bildes übernimmt Huber in sein klinisches Interieur. „Da, wo sonst der Künstler signiert, laust sich jetzt der Hund das Fell“, sagt Huber amüsiert.

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