Um viertel vor zehn sprechen die Messer

Lang ist's und langatmig: Marina Carrs "Ariel", inszeniert von Klaus Weise in den Bonner Kammerspielen, verliert sich im Niemandsland zwischen antikem Tragödien-Pathos und gegenwärtigem Familienzerfalls-Drama

  "Ariel" in Bonn:  Szene mit Heike Kretschmer (links) und Susanne Bredehöft

"Ariel" in Bonn: Szene mit Heike Kretschmer (links) und Susanne Bredehöft

Foto: Beu

Bonn-Bad Godesberg. Fermoy Fitzgerald ist ein Politiker mit Visionen. "Wir müssen uns ganz neu erfinden, von Null", sagt er. Fitzgerald ist Minister und hält die Iren für eine von den Engländern kolonialisierte Nation von Ladenbesitzern. Jetzt fordert er Heldentum à la Bonaparte von seinen warmduschenden Landsleuten.

Fitzgerald, Hauptfigur in Marina Carrs Drama "Ariel", ist aber auch ein Mann mit Vergangenheit. Seine Tochter Ariel, deren 16. Geburtstag zu Beginn des Stückes gefeiert wird, hat er umgebracht, und zwar aus religiös-politischen Gründen.

Ein Blutopfer hat er Gott für die Karriere gezollt, einem Gott, der keine Gnade kennt: "Gott schickte sie aus dem Nichts, und zu Gott kehrte sie zurück." Dergleichen ist nicht ungewöhnlich in der Sippe der Fitzgeralds.

Der kleine Fermoy war dabei, als sein Vater seine Mutter umbrachte. Kaum verwunderlich, dass in Fermoys Haus nicht alles zum Besten steht. Sie hassen sich wie in der antiken Tragödie, sie quälen sich, und sie töten sich. Um viertel vor zehn, kurz vor der Pause, und später um elf sprechen die Messer in den Kammerspielen. Und wir werden Zeugen laut und endlos röchelnder Agonie.

Der 1964 in Dublin geborenen Autorin ist es darum gegangen, die Wucht antiker Theatertragödien mit gegenwärtigen Reflexionen über Politik, Religion und Familie zu verknüpfen.

Blutopfer, Schicksal, Schuld und Sühne auf der einen Seite, ödipale Nähe, vergiftete Liebe, Rachsucht auf der anderen Seite. Das alles im irischen Milieu, in dem archaische Kräfte sich auch von den Errungenschaften der Moderne nicht haben vertreiben lassen.

Klaus Weise erzählt die Geschichte seiner Lieblingsautorin in einer 200-Minuten-Inszenierung. Schon das Bühnenbild von Martin Kukulies, in dem Tragödienfels, Designermöbel und Christusfigur koexistieren, spiegelt die Vielschichtigkeit des dramatischen Entwurfs.

Schade nur, dass sich die Elemente nicht durchdringen, dass keine produktive Reibung entsteht. Erzwungen und künstlich mutet das dramatische Gebilde an, meilenweit entfernt von einem Stück wie "Der Tod eines Handlungsreisenden", mit dem Arthur Miller glänzend belegt hatte, dass Tragödien auch heute noch möglich sind.

Bernd Braun als Fermoy besitzt viel von der Beweglichkeit und Brutalität aktueller Politiker, seine metaphysischen Reflexionen, sein barbarischer Furor muten aber allenfalls pathologisch an; dieser Polit-Aufsteiger steht mit beiden Beinen in der Gegenwart.

Richtig ernst nimmt ihn auch die Regie nicht. Als Braun sich seiner Frau Frances (Susanne Bredehöft) nähert, steckt er sich eine Rose in die Hose und probt einen beckenbetonten Tanz.

Perry Como singt "Spanish Eyes", und Bredehöft, die sich bis dato auf dem Boden halb totgelacht hat, versenkt ihre Hand in der Hose des Gatten. Drückt sich so die Macht des Schicksals aus? Gut, dass Sophokles und Co. das nicht miterleben müssen.

Gleichzeitig unterhalten sich existenziell aufgeraute Stimmen erregt oder elegisch über die großen Themen der Menschheit. Nichts bewegt sich da, wenig ist bewegend. Hier wird Statik qualvolles Ereignis.

Mehr Schauwerte besitzt Carrs Familienzerfalls-Studie. Roland Riebeling (Stephen) führt die Wandlung eines Sohnes vor, der mit zehn noch nicht abgestillt ist und spät erst die Flucht aus der Familienhölle unternimmt.

Heike Kretschmer, Weises erste Darstellerin in Oberhausen, jetzt Wien, zeigt als Elaine, wie Frauen ihre Mütter hassen und ihre Väter idealisieren können. Doch an beiden klebt eine Prosa, die sich im Niemandsland zwischen Vergangenheit und Gegenwart verliert.

Was bleibt, ist der Mut von Ensemble und Regisseur, große Gefühle aufzurufen, extreme Empfindungen ohne ironischen Vorbehalt zu artikulieren. Mit der deutschen Erstaufführung von "Ariel" war das nicht zu schaffen.

Zwei Ausnahmen: Hannelore Luebeck als Sarah und Wolfgang Jaroschka als Boniface reißen Abgründe auf. Sie ganz sanft und leise, er im vulkanischen Ausbruch. So geht''s.

Am Ende heißt es aber weiter warten auf das erste richtige Schauspiel-Ereignis des neuen Hausherrn: den großen Wurf.

Die nächsten Aufführungen: 4., 6., 18. und 29. Februar; Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers.

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