Konzert in Bonn So war das Kettcar-Konzert auf dem KunstRasen

Bonn · Als unpolitische Bands könnte man Muff Potter und Kettcar ohnehin nicht bezeichnen. Doch bei ihrem Konzert auf dem KunstRasen bewiesen sie mehr Haltung denn je.

Mit Worten konnten die Jungs von Kettcar schon immer hervorragend umgehen. Ob sie nun Alltagssituationen beschreiben, Liebeslieder dichten oder Gesellschaftskritik üben, stets treffen die Hamburger um Frontmann Marcus Wiebusch den richtigen Ton, finden die richtigen Worte, poetisch, aber niemals peinlich, prägnant und nur selten pathetisch. Jetzt haben Kettcar zusammen mit ihren Kollegen von Muff Potter auf dem Kunst!Rasen in der Rheinaue vor knapp 2000 Menschen ein Konzert gegeben, bei dem sie mehr denn je Haltung bewiesen und im Dienste des Humanismus dazu aufriefen, Menschen über Grenzen und durch Zäune zu helfen. Im Notfall auch mit Hilfe eines Bolzenschneiders.

Für Letzteres haben Kettcar schon durchaus Kritik einstecken müssen, nicht nur aus der dunkelbraunen rechten Ecke. Das Erzählstück „Sommer '89“ über einen deutschen Fluchthelfer an der innerdeutschen Grenze, in dem besagtes Werkzeug einigen Menschen zu einem besseren Leben verhilft, ist in manchen Feuilletons seit der Veröffentlichung des Spoken-Word-Titels vor zwei Jahren schon als Beleg dafür angeführt worden, dass es Kettcar an musikalischer Überzeugungskraft mangele. Die Stille, die sich über den KunstRasen legt, während Wiebusch die Zeilen zu den in der Tat überschaubaren Gitarrenakkorden rezitiert, spricht dagegen eine andere Sprache. Die Band trifft einen Nerv, setzt ein aktuelles Statement, ohne auch nur ein einziges Mal das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer oder engagierte Menschen wie Kapitänin Carola Rackete beim Namen zu nennen.

Eine Abrechnung in neun Minuten

Das minimalistische Geschrammel ist dabei essenziell, führt es Ohren und Herz doch geradewegs auf den Text, lenkt nicht von der Geschichte ab und stellt sie erst dadurch ins rechte Licht. Ein starkes Stück – und dabei nur eines von mehreren, das für Gänsehautmomente sorgt.

„Der Tag wird kommen“ schafft das auch mühelos, eine neunminütige Abrechnung mit der Homophobie im Fußball, die poetisch und musikalisch selbst ein Wortmagier wie Thomas D nicht besser hätte auf den Punkt bringen können. Dazu gesellen sich die gewohnten Offenbarungen scheinbar schlichter Gefühle, auf die sich Kettcar so hervorragend versteht.

Im „Emo-Block“, wie Wiebusch ihn nennt, wird dem Liebeskummer Raum gegeben, ohne allzu tief in Klischees zu versinken, erklingen mit „Balu“ und „48 Stunden“ herrlich zarte Lieder, die das Publikum anrühren und zutiefst bewegen. Das ist dementsprechend begeistert und erstaunlich textsicher, zumal Kettcar fast alle Lieblingslieder anspielt, einschließlich der „Landungsbrücken“, ohne die ein Konzert der Hamburger einfach nicht zu Ende gehen darf.

Einzig die geringe Lautstärke ist ein Manko, für das sich sogar die Band explizit entschuldigt. „Das Konzert wird als normales und nicht als seltenes Ereignis geführt, daher gelten leider etwas niedrigere Grenzwerte“, erklärt Martin Nötzel, einer der Betreiber des KunstRasens. „Allerdings schöpfen Kettcar das Potenzial auch nicht ganz aus, die könnten ruhig noch etwas aufdrehen.“ Schade war es dennoch, dass an diesem Tag nur mit angezogener Handbremse gespielt werden durfte.

Auch Muff Potter hat Probleme mit der geringen Lautstärke

Damit hatten auch Muff Potter zu kämpfen, die nach einer neunjährigen Pause wieder auf Tour sind und zusammen mit der Kölner Band Fortuna Ehrenfeld den Abend eröffneten. Die Auszeit hat Sänger Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt und seinen Mitstreitern den Einzug in die Bürgerlichkeit beschert, doch unter der Fassade lauert noch immer jene Wut auf das handlungsarme Establishment mit ihrer Bequemlichkeit und Schönfärberei, mit die Intellektuellen-Punks schon in den 1990ern aufwarteten. Damals hatten sie sogar eines ihrer ersten Konzerte in der Bonner Kneipe „Namenlos“ gespielt, erinnert sich Nagelschmidt lachend. „Damals bin ich rausgeflogen, nachdem ich eine Flasche Pernod geklaut habe.“

Heutzutage hätten ein paar Dezibel zu viel eine ähnliche Wirkung gehabt. Ja, das Leben ist kein Ponyhof. Aber ab und zu sollte es zumindest ein Rockkonzert sein dürfen.

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