Neunte Bonner Theaternacht Shakespeares Hamlet in 15 Minuten

BONN · Das Angebot war so vielfältig wie nie zuvor: Zum neunten Mal lockte am MIttwochabend die Bonner Theaternacht die Zuschauer und -hörer auf eine Tour mit lustigen, nachdenklichen, musikalischen und kritischen Darbietungen.

 Eben noch im Hier und Jetzt am Doppelgrab mit Hund in Oberkassel und im nächsten Augenblick mitten in der Eiszeit! In ihrem zweiten Soloprogramm macht Maryam Yazdtschi per Zeitsprung späteiszeitliche Erfahrungen. FOTO: FROMMANN

Eben noch im Hier und Jetzt am Doppelgrab mit Hund in Oberkassel und im nächsten Augenblick mitten in der Eiszeit! In ihrem zweiten Soloprogramm macht Maryam Yazdtschi per Zeitsprung späteiszeitliche Erfahrungen. FOTO: FROMMANN

Foto: barbara frommann

Bei 80 Veranstaltungen an 38 Orten fiel die Auswahl schwer. Wer sich einmalvom Theaterstrom treiben ließ, erlebte einen Abend voller Überraschungen undbeeindruckenden künstlerischen Leistungen. Organisatorin Susanne Schenkenbergervom Theater Bonn zog ein begeistertes Fazit: "Wir können mit mehr als 3000Besucher einen neuen Rekord verzeichnen. Außerdem herrschte an den vielenSpielstätten eine entspannte und offene Atmosphäre."

An Tschechows "Möwe" haben sich schon viele versucht, zuletzt etwadas Ensemble des Theaters Bonn. Nun hat sich das Volkstheater der Brotfabrikdem Stoff angenommen - und das auf einem Landsitz spielende Stück kurzerhandals herrliches Meta-Schauspiel ins Freie gezerrt. Die Grüne SpielstadtDransdorf, in der das Ensemble zum inzwischen vierten Mal dieTheater-Sommerpause überbrückt, bietet dafür das richtige Ambiente: In derehemaligen Stadtgärtnerei entfaltet sich das berühmte Drama um Liebe undLangeweile, das beständig wechselt zwischen absurd banalen Aktionen undtiefgründigen Diskursen über das Wesen der Literatur.

Während das Publikum, von zwei Damen getrieben, über das Gelände jagt, wirdder Konflikt zwischen Kostja (Nikolai Knackmuss) und seiner Mutter Akadia(Petra Kalkutschke), einer berühmten Schauspielerin, ebenso sichtbar wie seinVerlangen nach der jungen Nina (Kathrin Marder). Eine gute Art, den Abend zubeginnen: Noch ist das Wetter zu schön, als dass es einen in einen Theatersaalzieht.

Shakespeares "Hamlet" in 15 Minuten? Das geht, und der Dichterhöchstpersönlich bewies das Mittwochabend in der Brotfabrik. Eben nocherscheint Hamlet der Geist des verstorbenen Königs, schon im nächstenAugenblick sinniert der Prinz über das Sein. Kurz darauf entlarvt dieGauklertruppe den neuen König Claudius durch ihr Theaterstück als Mörder, undvon Polonius' Tod hinter dem Vorhang über Ophelias Wahnsinn bis zum tödlichenDuell sind es nahezu nur Wimpernschläge. Aber dem Meister ist das noch zu lang.

Er streicht die berühmtesten Phrasen und lässt noch einmal spielen. DiesesMal sind schon nach fünf Minuten alle tot. Die Bonn University ShakespeareCompany brachte Tom Stoppards amüsante Hamlet-Adaption für den eiligen Guckerauf die Bühne der Brotfabrik.

Die Mitglieder boten außerdem eine Geisterführung über das Theatergelände anund suchten in der Kulturkneipe zu später Stunde noch "Bonn's nextSupercast". Außerdem führte die Theatergruppe Gerüchteküche einenAusschnitt aus "Die zwölf Geschworenen" auf, und die Gruppe"LaClínicA" zeigte eine Passage aus ihrer aktuellen Produktion"Unfriendly Floating". Alle Aufführungen waren ausgebucht: LautJürgen Becker, Geschäftsführer der Brotfabrik, wurden 2500 Karten verkauft.Damit konnte er sehr zufrieden sein. kpo

Wenn schon international, dann aber richtig: Dasdeutsch-italienisch-französische Ensemble G.I.F.T., das sich erst imvergangenen Jahr gegründet hat, hat sich in seiner ersten Produktion gleicheinmal einem äußerst tiefgreifenden, komplexen Thema zugewandt. Das vonRegisseur Luca Paglia geschriebene Stück "Xeno ovvero L'Antagonista",das im Kult 41 in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln zu sehen war,versucht die Gründe der Xenophobie zu ergründen, erörtert auf teils humorvolleund teils schwarzsatirische Weise die Rahmenbedingungen für Fremdenhass undübertriebenen Nationalstolz.

So dienen die Völkerwanderungen der Goten und der Hunnen als Sinnbild fürdie aktuelle Flüchtlingsdebatte, während die Beziehung zwischen Othello undDesdemona rassistische Gedanken reflektiert. Die Proben zu dem Stück fandenübrigens, ganz dem multinationalen Gedanken des Ensembles folgend, in Rom,Paris und Bonn statt - in allen drei Städten sind in der kommendenTheatersaison Aufführungen geplant.

Es wurde an einem Ort gesungen und gelacht, der eigentlich für seine Ruhebekannt ist: Der Hörsaal. Im Hörsaal 17 präsentierte die TheatergruppeFulminant - ein inklusives Projekt des Bonner Vereins für gemeindenahePsychiatrie - insgesamt vier Kostproben aus Anatevka. Die Truppe befindet sichnoch mitten in den Proben für die große Premiere im November, dennoch wolltesie es sich nicht nehmen lassen, schon erste Teile des mitreißendenTheaterstückes einem großen Publikum zu präsentieren.

Dabei machten die Laienschauspieler ihrem Namen alle Ehre - wirklichfulminant kommt der feine Witz, der sich in diesem Stück wie ein roter Fadendurchzieht, zur Geltung. Anatevka ist ein kleines jüdisches Dorf mitten inRussland. Im Jahre 1905 werden die Menschen dort vom russischen Militär immermehr attackiert und gezwungen ihre Koffer zu packen. "Fulminant"präsentierte ein schlichtes Bühnenbild, dafür aber aufwendige Kostüme - mandarf auf die Premiere gespannt sein. mmv

Wow. So schnell kann man als Normalsterblicher zurück in die Eiszeit reisen- zumindest, wenn man das Soloprogramm von Maryam Yazdtschi gestern imLVR-Landesmuseum besucht hat. Sie schlüpfte in die Rolle einer Eiszeitjägerin,die zufälligerweise bei einem Spaziergang am Rhein zurück in das kalteJahrhundert gebeamt wurde - dabei begegnete sie so manchem Vertreter aus jenerZeit. Singend und erzählend berichtete sie dabei von ihren Erfahrungen miteiner längst vergangenen Zeit. Mit ihrem scharfsinnigen Humor und einergehörigen Portion Selbstironie meisterte sie aber jede Herausforderung.

Beispielsweise musste sie neue, technische Errungenschaften oder Wörter, wie"Event" erklären. In der Eiszeit kannte man diese natürlich nochnicht. Besonders toll, wie Yazdtschi die Region in ihr Programm integriert hat.Alleine stand sie allerdings nicht auf der Bühne, die sich inmitten deraktuellen Ausstellung "Eiszeitjäger - Leben im Paradies" befand: Einebestens aufgelegte Band unterstützte die Protagonistin bei ihrem Gesang. Soverreist man gerne mal - auch zurück in die Vergangenheit.

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