Haus der Geschichte Schatzsuche in der Unterwelt

Bonn · Das Bonner Haus der Geschichte öffnet während der Dachsanierung die Depots für Besuchergruppen unter dem Motto „Objekte im Dunkeln“. Bis Mitte Dezember 2017 ist der Blick hinter die Kulissen möglich.

 Begehrte Reklameschilder: Dietmar Preißler (links) und Hans Walter Hütter im Depot.

Begehrte Reklameschilder: Dietmar Preißler (links) und Hans Walter Hütter im Depot.

Foto: Benjamin Westhoff

Das Abenteuer beginnt eigentlich schon im Foyer des Hauses der Geschichte. Durch eine unscheinbare Tür gelangt man zu dem Lastenaufzug, dessen Dimensionen akkurat Adenauers Mercedes 300, einem der Hauptexponate des Hauses, angepasst sind. Quietschend und im Schneckentempo gleitet der Aufzug in die Unterwelt, bleibt nach einer kleinen Ewigkeit im dritten Kellergeschoss stehen. Die Tür öffnet sich zu einem profanen Flur mit Feuerschutztüren. Dass das hier die Schatzkammer des Hauses ist, streng genommen die größte von mehreren, ahnt man nicht. Allein hier im 540 Quadratmeter messenden Metalldepot, das vom Flipperautomaten über die Nähmaschine bist zum Starfighter-Schleudersitz alles nur Erdenkliche bereithält, lagern exakt 16 352 Stücke bei 21 Grad und geringer Luftfeuchte, wie Sammlungsdirektor Dietmar Preißler vorrechnet.

Alles in allem beherbergen drei Depotetagen im Keller des Hauses der Geschichte und weitere Lagerstätten in Bonn 600 000 Exponate von insgesamt mehr als einer Million Stücken der Stiftung Haus der Geschichte. Die übrigen sind in den Standorten Leipzig und Berlin untergebracht.

Die Bonner Museumsunterwelt ist gewöhnlich tabu für Besucher – aus klimatischen und sicherheitstechnischen Gründen. Für die Dauer der Dachsanierung des Hauses aber dürfen Gruppen unter dem Motto „Objekte im Dunkeln“ das Metalldepot besuchen.

Es ist ein spannender Parcours, der sich in einem entscheidenden Detail von einem Ausstellungsbesuch unterscheidet: Denn im Depot sieht man die Exponate nicht nach inhaltlichen Korrespondenzen und in einem bestimmten Kontext präsentiert, sondern allein nach Materialaspekten und Lagerkriterien. Da stehen etwa bunte Musikboxen neben Rudolf Augsteins Loewe-Fernseher, unter den er vier kleine Monitore montieren ließ. Der „Spiegel“-Herausgeber wollte medial immer auf der Höhe sein – sein vollständiges Büroinventar ist übrigens im Besitz des Hauses der Geschichte. Musizierende Affen kann man in der politisch sicherlich nicht mehr so korrekten „Bimbo-Box“ der 1950er bewundern. Ein Jahrzehnt später stehen stattdessen Beatles-Puppen auf der Musikanlage, die dann „Beat-Box“ hieß.

Und eine lebensgroße, vollbusige Comic-Heldin Lara Croft, Schönheits- und Fitnessikone der späten 1990er, steht neben einem nackten, arischen Bronze-Staffelläufer von Hitlers Reichssportfeld. Auch dieser drahtige Sportler war ein Idealbild seiner Zeit. Jedes Exponat hat seine eigene Geschichte, die Tür eines General-Motors-Polizeiautos, das am 11. September 2001 unter den Trümmern der Twin Towers begraben wurde, ebenso wie das beschädigte Holzrad eines Wagens, das eine Familie ein halbes Jahrhundert als Erinnerung an die Flucht aus Ostpreußen im Wohnzimmer stehen hatte.

„Schabowski-Zettel“: Original oder Fälschung?

Doch dieser exklusive Ausflug hinter die Kulissen für jeweils bis zu 25 Besucher ist mehr als nur ein Blick in Regale voller Radios aus allen Epochen und auf Stellwände voller Emaille-Werbeschilder. Es geht auch darum zu zeigen, wie ein Ausstellungshaus tickt. Preißler präsentiert die Datenbank, in der die Objekte mit Fotos und allen möglichen Informationen archiviert sind, sucht nach „Lara Croft“, die wir dann später noch am genau bezeichneten Ort finden. Die Ausstellungsmacher können in dieser Datenbank nach passenden Objekten für ihr Thema recherchieren und sehen die ganze Bandbreite. „Das verhindert, dass immer die sechs, sieben gleichen Exponate in Ausstellungen gezeigt werden“, sagt Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte.

Preißler zeigt auch den berühmten „Schabowski-Zettel“, auf den der SED-Funktionär Günter Schabowski am 9. November 1989 seine Notizen geschrieben hatte, bevor es zur historischen Antwort auf die Frage nach den Reiseerleichterungen aus der DDR kam: „Das tritt nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich.“ Der Startschuss zum Mauerfall. Der Zettel galt lange als verschollen, wurde 2015 dem Museum von einem Privatmann angeboten. Eine Fälschung? In der Depottour erfährt man, wie das Haus der Geschichte das Fundstück auf seine Echtheit überprüfte und diese bestätigte. Schließlich erwarb das Bonner Haus das Blatt für 25 000 Euro. Auf dem Rundgang kann man es besichtigen.

Nicht jedes Angebot ist so spektakulär. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass jede Haushaltsauflösung in Bonn über meinen Schreibtisch geht“, stöhnt Preißler. Und gewinnt auch diesem Umstand etwas Positives ab. „Das zeigt doch, dass unsere Ausstellungen ein historisches Bewusstsein erzeugen.“

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