Ritter von der traurigen Gestalt

Lars Brandts melancholischer Roman "Gold und Silber" über die späten 90er Jahre in Bonn folgt den Spuren einer desillusionierten Künstler-Bohème

Ritter von der traurigen Gestalt
Foto: Fischer

Bonn. Bleierne Zeiten in Bonn. Das Jahrtausend neigt sich dem Ende zu, immer mehr Beamte und Ministeriale verlassen die "kleine Stadt am großen Strom". Und auch eine Handvoll Künstler ist theoretisch auf dem Absprung - über 300 Seiten lang in Lars Brandts Romanerstling "Gold und Silber".

Aber Brandts Ich-Erzähler, der Maler und Hobbyangler Rudi, kriegt den Hintern nicht hoch. Was umso mehr wundert, da Rudi sich am Ende des Buches als Reinkarnation des Ritters Lancelot outet und schließlich, weidwund vor Sehnsucht nach der Liebsten, verlassen und allein, gar über den heiligen Gral, das goldene Vlies und die blaue Blume deliriert.

Rudi freilich entpuppt sich als Ritter von der traurigen Gestalt, der irgendwie zu Recht von Ginevra alias Ginger missachtet wird, ein leidlich ätherisches Wesen, das Brandt mal als "schön, aber nicht hübsch" beschreibt, oder als "launisch, preziös und schamlos ignorant, wenn eine Sache sie nicht interessierte".

Oder eben Rudi. So wenig wie Ginger mit Lancelots legendärer Guinevere zu tun hat, so wenig hat auch die kleine Truppe Bonner Schöngeister um Ginger und Rudi mit Artus' Tafelrunde zu tun.

Man sieht eher einer schwer desillusionierten Bohème beim Scheitern zu, die sich ziellos, dafür mit schlauen und gestelzten Reden durch den Tag laviert und als deutlichste Konstante die allabendlichen weinseligen Runden beim Portugiesen zelebriert, der eigentlich Spanier ist - oder umgekehrt.

Mal ein Trip nach Rom, den Rudi dazu nutzt, wie ein liebestoller Stalker auf Gingers Spuren zu schleichen, mal eine Fahrt nach Berlin, die den Maler auch nicht recht weiter bringt - die bleiern brütende Melancholie am Rhein lässt sich nicht lindern.

Meistens hält Brandt die Spannung zwischen der ausführlich ausgebreiteten Larmoyanz einiger Protagonisten und der distanzierten Ironie des Autors, der gewissermaßen von höherer Warte aus die Schrullen, Strategien und Befindlichkeiten einer Künstlerszene seziert, die er ganz genau kennt.

Der in Berlin geborene und in Bonn lebende Brandt ist Maler, Schriftsteller und Filmemacher. Sein aus vielen Schlaglichtern zusammengesetztes Porträt des Dogma-Filmregisseurs Jarl etwa gehört dank der Präzision und geschliffenen Bösartigkeit zu den Höhepunkten des Romans.

Jarl ist, das muss man wissen, Gingers Mann, also Rudis Konkurrent, außerdem der einzige wirklich Erfolgreiche der Bonner Bohème und der Einzige, der den Absprung nach Berlin schafft. Sein absurdes Filmprojekt über die cineastische Pause folgt der Devise "auf der Jagd nach dem Nichts".

Literarische lockerleichte Miniaturen wie die Vorstellung des Freundes Paavo erscheinen wie kostbare Inseln in ansonsten eher tiefen und trüben Gewässern der Schwermut: "Von seinen Nebentätigkeiten als Weinhandelsgehilfe und Taxifahrer brachte Paavo halbleere Probeflaschen und wortkarge Freundinnen mit, denen er, gehüllt in die Wolke aus Tabakrauch und Gelächter, die Blusen öffnete, während wir anderen über ihn staunten."

Eben dieser Paavo hatte vor Zeiten "beim Wettschwitzen in einer karelischen Sauna" eine Staatskarosse aus dem Kremlfuhrpark gewonnen, die im Buch eine Rolle spielt. Wie in dem ergreifenden Buch "Andenken" (2006), das der Autor über seinen Vater Willy Brandt schrieb, wirft Lars Brandt dem Leser auch in "Gold und Silber" Textsplitter, Gedankenfragmente zu, die selten länger als eine halbe Seite sind. Für den Lesefluss erscheint das bei insgesamt 300 Seiten problematisch.

Bisweilen hat diese Facettierung, die rasche Stimmungs- und Perspektivwechsel erlaubt, jedoch ihren Reiz. Diese offene Form des Gedankenflusses fördert feine Alltagsbeobachtungen zutage wie die der dicken Busse, die mit "fistelnden Motoren" an einem vorbeisummen "wie bereifte Riesenkastraten".

Oder erlaubt den tiefen Blick in die Seele des gescheiterten Künstlers, der "lieber die Schönheit riskiert", als seine Elaborate durch "die Hände eines geölten Verkäufers" an die "schöngeistige Wand eines gemütlich-ironischen Bürgers" gelangen zu lassen. Ein wunderbares, satt aufgetragenes Bohème-Klischee. Oder vielleicht doch nicht?

Brandt hat letztlich mit "Gold und Silber" eine bitter-ironische Ansammlung von intensiv beobachteten intimen Künstler-Miniaturen vorgelegt, pflegt die Bonner Agonie wie ein Biotop - nicht mehr und nicht weniger. Er hat leider die Chance vertan, den Roman über die Bonner Umbruchzeit Ende der 90er Jahre zu schreiben. Den hätte man ihm nach "Andenken" durchaus zugetraut.

Lars Brandt: Gold und Silber. Roman. Hanser. 303 S., 19,90 Euro

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