Jazzfest in Bonn Reise in eine neue musikalische Welt

Bonn · Rund 3000 Karten für das gerade laufende Jazzfest Bonn waren binnen Wochen verkauft. Festival-Initiator Peter Materna könnte gut doppelt so viele Kartenwünsche erfüllen, sagte er unlängst. Sein Jazzfest hat sich etabliert, ist eine Erfolgsgeschichte, die noch lange nicht zu Ende geschrieben ist. Bonn, eine Jazzstadt?

Thomas Kimmerle, der als Profi-Saxofonist, Mitglied des Bonn Jazz Orchesters und mit eigenen Formationen wie "Barcode" unterwegs ist, aber auch als Lehrer und Nachwuchsförderer einen sehr guten Überblick über die lokale Szene hat, bejaht das - mit Abstrichen. "Die Ausbildungssituation war nie besser als heute", meint er.

Rund 100 junge Menschen befassen sich etwa in der städtischen Musikschule mit Jazz, rechnet Christoph Pinsdorf, der Geschäftsführende Leiter, vor, alle einschlägigen Instrumente werden gelehrt. Es gibt Einzelunterricht, fünf Jazz-Combos, eine Big Band. Nur beim Jazz-Gesang sieht Pinsdorf Defizite in der Lehre. "Alle Jazz-Dozenten sind Hochkaräter", sagt er.

Einer davon ist Shawn Spicer, der im Bonn Jazz Orchester das Baritonsaxofon spielt und Zweigstellenleiter der Musikschule ist. Er hat allein 30 Jung-Jazzer unter seinen Fittichen, vom Anfänger bis zum fortgeschrittenen Improvisationskünstler. Als Problem bewertet Spicer das durch den Ganztagsschulbetrieb stark veränderte Freizeit-Tableau der Schüler.

"Als Musikpädagogen müssen wir weiter darüber nachdenken, wie wir unsere Angebote attraktiver, besser erreichbar und inhaltlich kompakter strukturieren können", meint Spicer. Kimmerle lobt Bläserklassen, wie es sie im Tannenbusch-Gymnasium gibt, und er wünscht sich, dass der Instrumentalunterricht nach US-Vorbild im Stundenplan der Schulen fest verankert wird. Jeden Tag Musik, das wäre sein Traum.

Spicer gerät bei Jazz ins Schwärmen: "Im Jazz entdecken Sie, dass es musikalische Welten gibt, die sich jenseits der notierten Musik abspielen, und dass es ein unbeschreibliches Gefühl ist, sich zu öffnen und der eigenen Kreativität und Intuition Raum zur Entfaltung zu geben." Viele Bonner Jugendliche begeben sich auf diese Reise, ob in der städtischen Musikschule oder in privaten Institutionen, in kleineren Ensembles oder in der Schul-Bigband - von der EMA-Bigband über die Rhine-Island-Bigband auf Nonnenwerth bis zur OssiJazzky Bigband in Ückesdorf. Schulübergreifend gibt es das im vergangenen Herbst von Thomas Heck und Kimmerle gegründete Jugend Jazz Orchester Bonn.

Mit dem Bonner Jazzchor, Oliver Pospiechs Uni Bigband und in vielen anderen Formationen kanalisiert sich die Bonner Jazzbegeisterung nach der Schulzeit. Unlängst präsentierte sich die von Bela R. Weissbach geleitete "B4", die Profis und virtuose Laien vereinigt. Relativ neu ist auch das Programm JazzTube mit Konzerten von Profis und Newcomern in der Bonner U-Bahn. Veranstalter wie Manuel Banha, Jazzinconcert, Jazzin'Bonn und natürlich Materna mit seinem Jazzfest sorgen für Ausrufezeichen in der Region.

So gut die Situation für die Basis, den Nachwuchs ist, so dünn wird die Luft in Bonn für arrivierte Amateure und Profis. "Wir haben keine Spielorte", klagt Kimmerle, der zu den Initiatoren des leider geschlossenen Jazzclubs in der Burbacher Straße gehört, dem "Wohnzimmer der Musiker", wie er es nennt. Die regionale und überregionale Szene nutzte den Club als Forum. Ausschlaggebend für hohe Qualität sei, dass Musiker immer wieder zusammen spielen, sich ausprobieren können, meint Kimmerle: "Musik entsteht nicht im Probenraum, sondern auf der Bühne." Er sieht eine steil anwachsende Kurve von Talenten, die in Bonn heranreifen - und als Negativpunkt ein unübersehbares Defizit an Spielstätten.

Es reiche nicht, vorbildliche Ausbildungsstrukturen auf der einen Seite und am anderen Ende der Skala eine blühende Event-Kultur, Leuchttürme wie das Jazzfest und Aushängeschilder wie die Bonner Stars Nils Wülker und Till Brönner zu haben, sagt Kimmerle: "In der Mitte fehlt es", klagt er. Und da kommt das Phänomen Jazzclub ins Spiel. Da wohnt, um mit Kimmerle zu sprechen, "die absolute künstlerische Freiheit". Da gehe es nicht um Perfektion, sondern um: Jazz.

Info Informationen über Jazz in Bonn, über Bands und Veranstalter finden sich auf der Homepage www.bonn.de. Weitere Informationen: www.jazzinconcert.com, www.jazzinbonn.de. Am 31. Mai gibt es eine neue Staffel im U-Bahn-Projekt JazzTube; Informationen über das Jahresprogramm unter www.jazztube-bonn.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Virtuose mit viel Gefühl
Konzert mit Bruce Liu in der Philharmonie Köln Ein Virtuose mit viel Gefühl
Zum Thema
Aus dem Ressort