Premiere von "Der gläserne Sarg" ohne Publikum in Siegburg

Norman Liebold liest aus seinem zweiten Regionalroman im Selbstverwalteten Jugendzentrum vor leeren Sitzreihen - Premiere in privater Atmosphäre

Premiere von "Der gläserne Sarg" ohne Publikum in Siegburg
Foto: Michael Wrobel

Siegburg. Alles war bestens vorbereitet: Sie hatten stundenlang geputzt und gewienert, hatten aufgeräumt und alles schön gemacht - und am Ende kam doch kein einziger Gast. "Wir wollten ein Experiment wagen, doch leider ist es gescheitert."

Der Autor Norman Liebold hatte sich für die offizielle Premiere seines neuen Buches "Der gläserne Sarg" das Selbstverwaltete Jugendzentrum Siegburg (SJZ) an der Heinrichstraße 4 ausgesucht - und das nicht ohne Grund: "Der bekanntermaßen schönste Bunker Siegburgs, der als subkulturell und subversiv bekannt ist, sollte der Lesung zusätzlichen Reiz geben", sagte der 31-Jährige.

Das SJZ ist ansonsten eher bekannt für Punk-Konzerte und ähnliches. Dass dort nun eine Autorenlesung stattfand, war auch für die Verantwortlichen der Einrichtung etwas Neues. Umso enttäuschter waren alle, dass niemand der Einladung gefolgt war.

Entmutigen ließ sich Liebold von den leeren Sitzreihen in dem Jugendzentrum aber nicht und präsentierte seinen zweiten Regionalkrimi vor der Thekencrew und zwei Pressevertretern. Diese zeigten sich aber begeistert vom "schizoid-schäublesken Überwachungskrimi" aus der Feder des in Sachsen geborenen Autors.

Der Roman erzählt die Geschichte des manisch-depressiven Bauern W. aus dem Siebengebirge, der durch die wiederholte Konfrontation mit den Blüten der Überwachung einen totalitären Staat wiederkehren sieht und eine Odyssee zum UNO-Sitz im Langen Eugen in Bonn antritt, um - wie er selbst meint - sein Vaterland zu retten.

Alles beginnt damit, dass der Protagonist in einem Baggersee badet, natürlich verbotenerweise, und dabei von einer "Steinbruch-Politesse" in Person eines mit roter Warnjacke, Pappausweis und Kamera ausgestattetem Stadtmitarbeiter gerät. Dieser fotografiert Bauer W., lässt das Foto durch die Biometrie-Datenbank rattern und schon ist der Verbotsbader identifiziert und bekommt seinen Bußgeldbescheid.

Was schon ein bisschen übertrieben klingt, soll sich laut Liebold aber tatsächlich so abgespielt haben. Er selber habe diese Situation vor rund zwei Jahren erlebt - und sei so auf die Idee gekommen, einen Roman darüber zu schreiben.

Rund zwei Jahre recherchierte der studierte Altgermanist für sein Werk. Um sich in die Rolle des etwas verrückten Bauern W. hereinzuversetzen, interviewte Liebold auch einen psychisch Kranken. "Ich wollte erfahren, wie ein solcher Mensch denkt und welche Wahnvorstellungen er entwickeln kann", so Liebold.

Zwischen bissigem Zynismus, ernüchternder Fallstudie und grinsendem Sarkasmus wirft Liebold in zum Teil sehr blumig formulierten Textpassagen Schlaglichter auf die aktuelle Situation in Deutschland. Während sich der Leser anfangs noch über den Wahn des Bauern amüsieren kann, bricht sich mehr und mehr eine erschreckende Vision Bahn und lässt den "gläsernen Sarg" und den Langen Eugen in Flammen und Vernichtung enden.

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