Uraufführung in den Kammerspielen Premiere von „BND - Big Data is watching you“ in Bonn

Bonn · Die Uraufführung von „BND – Big Data is watching you“ in den Kammerspielen kommt beim Publikum an. Das Bonner Schauspiel bringt ein aktuelles Thema auf die Bühne.

Datentanz: Szene mit Benjamin Berger. Im Hintergrund (von links) Glenn Goltz, Lara Waldow und Wilhelm Eilers.

Datentanz: Szene mit Benjamin Berger. Im Hintergrund (von links) Glenn Goltz, Lara Waldow und Wilhelm Eilers.

Foto: Thilo Beu

Ein großes Foto der Dienststelle des Bundesamtes für Sicherheit (BSI) in der Informationstechnik an der Godesberger Allee ist zu sehen, bevor das Personal des „Recherche-Thrillers“ von Simon Solberg auftritt. Der Regisseur und sein Team haben intensiv geforscht in dem unübersichtlichen Komplex aus Datenschutz und Überwachung, Bundesnachrichtendienst und Geheimdiensten.

Trotz eingeblendeter Dokumente und dramaturgisch geschickt in die Dialoge eingebauter Informationen (zum Beispiel zur Geschichte des BND) ist „BND – Big Data is watching you“ kein Dokumentarstück, sondern ein hochspannender Psychokrimi. Was geschieht mit uns, die wir im Suchfeld von Google „freiwillig“ viel von uns preisgeben und eine Wanze namens Smartphone überall mit uns herumtragen? Was geschieht mit den gespeicherten irrsinnigen Datenmengen und deren Verknüpfung?

Die auf der Kammerspielbühne erzählte fiktive Geschichte ist in Bonn angesiedelt und beginnt vor wenigen Monaten mit dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016. Mit dem Slogan „Digitalisierung braucht Experten für Cybersicherheit“ wirbt das BSI um Nachwuchs – der BND nimmt aus Sicherheitsgründen keine Praktikanten mehr an und vergibt derzeit auch keine Masterarbeiten. Tim Francke, qualifiziert mit einem sehr guten Informatik-Bachelorabschluss, bekommt den begehrten Job beim BSI, während sein Freund Micha seinen Verletzungen erliegt.

Benjamin Berger spielt fabelhaft genau den naiven kleinen Computernerd, der in ein geheimnisvoll verflochtenes Netz von internationalen Beziehungen gerät. Die Kontakte zu seiner schwangeren Verlobten Nadine (Lara Waldow) werden gekappt.

An der langen Leine des erfahrenen Abteilungschefs Schmidt – glänzend auch in diversen anderen Rollen: Wilhelm Eilers – wird er „Single“, bestens motiviert durch persönliche Betroffenheit. An der kurzen Leine geführt vom harten Hund Hammer, der gern seine Kopfhörer gegen Fäuste tauscht und eigenmächtig Flüge in verminte Gebiete bucht.

Glenn Goltz als Möchtegern-Bond im Dienst der Majestät des Volkes gibt den einsamen Wolf in der Infowüste. Manuel Zschunke ist unter anderem der coole IT-Spezialist Streicher und der kluge Journalist Kaspar, der als Leiche endet. Das ist so ansehnlich wie das bizarre Albtraumballett mit weißen Tutus (Kostüme: Linda Tiebel).

„Findet Gruber“, den Hintermann von Anis Amri, lautete der Auftrag. In „fucking Auerberg“, in Damaskus oder Marrakesch. Schlaflos Tabletten oder Chips einwerfen ist ebenso erlaubt wie Flaschenbier. Champagner im Berliner Ritz bringt Tim jedoch zum Kotzen und auf die nüchterne Idee, dass einige aus Daten konstruierte Identitäten nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Amri wurde bekanntlich mehr oder minder zufällig in Mailand erschossen.

Das Überwachungssystem (über seine Effizienz zu reflektieren, ist vernünftig) nährt sich selbst aus Big Data und Terrorangst. Whistleblower könnten ins Kalkül durchaus passen, Störfaktoren wie Denken und Gefühle eher nicht.

Die Aufführung zeigt mit sinnlicher Intelligenz und spielerischer Energie ein brandaktuelles Problem. Wer sind wir, wenn das Netz jeden kennt und daraus schließt, was passiert? Im Theater stellt sich die Frage nach Sein und Schein sowieso. Hier sind jedoch alle Akteure Schauspieler in einem verwirrenden Lügenkonstrukt, das bösartig amüsiert und aufregt. Gut 90 pausenlose Minuten konzentrierter Stoff zum Nach- und Weiterdenken und bei der Premiere mit entsprechendem Beifall belohnt.

Nächste Vorstellungen am 30. April um 18 Uhr und am 6. und 11. Mai um 19.30 Uhr. Tickets gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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