"Vor den Hunden" Premiere des Projekts ist am Freitag im Ballsaal

BONN · Ungefähr siebeneinhalb Kilogramm Textmaterial sei am Ende eines zweijährigen Arbeitsprozesses zu verarbeiten gewesen, berichtete Regisseur Frank Heuel beim Pressegespräch zu dem bisher größten Projekt des Bonner Fringe-Ensembles.

 Szene aus dem Theaterprojekt "Vor den Hunden".

Szene aus dem Theaterprojekt "Vor den Hunden".

Foto: Fringe

Neun Autoren aus neun verschiedenen europäischen Ländern haben sich anlässlich der Völkerschlacht bei Leipzig vor 200 Jahren beschäftigt mit den heutigen gesellschaftlichen Frontlinien. Entstanden ist in sieben Work-Camps (eins davon fand im vergangenen Herbst auf der Wiese des Bonner Römerbads statt) eine künstlerische Bestandsaufnahme der aktuellen Brennpunkte.

Weil völlig unabhängig voneinander bei mehreren Stücken das Motiv "Hund" auftauchte, ist es jetzt zum Titel-Geber geworden. "Vor den Hunden" heißt die Gesamtschau, die die unterschiedlichen Blicke auf Europa bündelt zu einer Schlacht aus Sprache, Musik und Bewegung. Ganz konkret etwa erzählt der Hund Gilbrecht vom Krieg in dem Drama "Wärmflasche" der Französin Marie Nimier, das von einer aus einer Bürgerkriegsregion geflüchteten Asylantin berichtet.

Der renommierte russische Autor Alexander Moltschanow, Publikumspreisträger der Wiesbadener Biennale "Neue Stücke aus Europa 2012", verknüpft sehr witzig den Prozess gegen Pussy Riot mit der Leipziger Völkerschlacht. Die Italienerin Magdalena Barile schickt in einer grotesken Commedia dell'arte eine angehende Märtyrerin auf ihren letzten Weg. Ivo Briedis aus Lettland zeigt einen Kreativ-Direktor, der eine Werbe-Idee für Sterbehilfe entwickeln soll und schließlich zum perfekten Image-Träger der Kampagne wird.

In "Arbeitsschlachten" des Kroaten Goran Fercec entdeckt jemand im Medienreich des Saturn Bachs "Matthäuspassion" und verwebt die barocke Klangwelt mit dem vergeblichen Streik von Textilarbeiterinnen. Eine Herausforderung auch für den bekannten Kölner Komponisten Gregor Schwellenbach, der die musikalische Leitung der Produktion übernommen hat.

Von der Isländerin Kristin Eiriksdóttir stammen irritierende Momentaufnahmen aus einem Nahverkehrszug, von dem Niederländer Andreas Vonder Tagebuchnotizen von einem nicht lokalisierbaren Ausnahmezustand. Für einiges Aufsehen sorgte im Vorfeld schon "Breivik" des Dänen Jens-Martin Eriksen, in dem er den norwegischen Massenmörder als im Gefängnis zur Vision eines friedlichen Europas geläuterten Schriftsteller präsentiert.

Über all den Provokationen, Hetzenden und Gehetzten schwebt der "Autopilot" des Bonner Dramatikers Lothar Kittstein, der in dem Stimmengewirr Deutschland vertritt. Ein Mann versieht am Steuer der Maschine seinen mörderischen Dienst und träumt davon, als Tourist die fernen Länder zu besuchen, auf die er jetzt ferngesteuerte Bomben fallen lässt.

Die bellenden Hunde beißen zu, und manches geht sprichwörtlich vor die Hunde in dieser Kampfzonen-Recherche. Die Zuschauer sitzen im Bühnenbild von Annika Ley und Elisabeth Schiller-Witzmann auf zwei Seiten einer Arena, in der zehn Schauspieler einen irren Schlachtenzirkus veranstalten. Ebenso zum Fürchten wie zum Lachen.

Gespielt wird auf Deutsch, nachdem alle Texte (einige sind bereits in der jeweiligen Komplettversion für Uraufführungen in den Ursprungsländern vorgesehen) übersetzt und das ganze Material auf zirka anderthalb Kilo Theatersprengstoff reduziert ist. Mit 200.000 Euro insgesamt überwiegend finanziert von der Kulturstiftung des Bundes aus dem Fonds "Doppelpass", der Kooperationen zwischen freien und etablierten Kultureinrichtungen fördert.

Partner bei "Vor den Hunden" ist nicht das kommunal getragene Theater Bonn, sondern die Leipziger Schaubühne Lindenfels, wo das Werk Anfang März seine erfolgreiche Premiere feierte. Etwa vier Stunden (inkl. einer Pause) muss man investieren für eine komprimierte Reise in die notwendig fragmentarische Anthologie poetisch verdichteter Krisen-Zustandsbeschreibungen.

Vorstellungen am 4. April (Bonner Premiere), sowie am 5., 10., 11., 12. April jeweils um 19 Uhr. Kartenreservierungen unter der Telefonnummer 0228/797901 oder auf www.theater-im-ballsaal.de. Es gib einen empfehlenswerten deutsch-englischen Programm-Katalog mit Text-Ausschnitten und Infos zu dem Konzept und den Autoren.

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