"Der letzte Bürger" in den Kammerspielen Neues Stück von Thomas Melle hat Premiere in Bonn

Bonn · Thomas Melles neues Stück „Der letzte Bürger“ hat Premiere in den Kammerspielen. In erster Linie geht es um einen tiefen Familienkonflikt.

 1975 in Bonn geboren: Thomas Melle hat sich einen Namen als Autor gemacht. FOTO: DPA

1975 in Bonn geboren: Thomas Melle hat sich einen Namen als Autor gemacht. FOTO: DPA

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Es ist diese unglaubliche Nacht des 9. November 2016, die in Washington mit Donald Trump einen notorischen Verbreiter von Fake News ins Weiße Haus katapultieren wird. In der Uraufführung des Thomas-Melle-Stücks „Der letzte Bürger“ in den Kammerspielen wird Leo Clarenbach an diesem 9. November 2016 auf dem Sterbebett liegen. Und mit ihm die Idee des westdeutschen Bildungsbürgertums, das sich nach 1945 mit seiner kulturbeflissenen Fassade, aber auch mit seinem Verantwortungsgefühl für Familie und Gesellschaft selbst definierte.

Dieser 9. November sei ebenso als eine Zeitenwende zu begreifen wie der gleiche Novembertag des Mauerfalls 1989 und gut fünf Jahrzehnte zuvor der 9. November 1938, die sogenannte Reichskristallnacht, erläutert Thomas Melle im GA-Gespräch. Im Stück lade nun die Familiengeschichte der Clarenbachs das Publikum zur Reflexion ein, sich bewusst zu machen: Wo stehe ich selbst nach der dritten Zeitenwende mit meinem bürgerlichen Habitus?

In erster Linie geht es im neuen Stück des 42-jährigen Erfolgsautors, der fürs Bonner Theater schon William Shakespeares „Königsdramen“ übersetzte und das Missbrauchsstück „Bilder von uns“ schrieb, um einen tiefen Familienkonflikt.

Die Lebenslüge des sterbenden Patriarchen, der in seiner Demenz noch mit einigen hellen Momenten für Schockstarre unter den Nachgeborenen sorgt, ist schon 1990 aufgeflogen: Der Musterbürger Clarenbach hat über Jahre heimlich für die DDR spioniert.

"Hier in Bonn ist die alte Bundesrepublik gestorben"

„Einer, der unbedingt etwas gegen das Erbe der Nazis tun wollte, hatte sich konsequenter radikalisiert als die sogenannte Arbeiter-Linke“, erläutert Melle. Nun treffen die drei Generationen 2016 noch einmal auf dem Ruinenfeld der Familie aufeinander und arbeiten die Jahrzehnte auf, erläutert Regisseurin Alice Buddeberg. „Die Kinder haben nie politisch Verantwortung übernehmen wollen.“ Und jetzt sei am Sterbebett des Alten plötzlich ein Schulterschluss des rechtsradikalen Enkels mit dem sozusagen linksradikalen Großvater möglich. Gefährlich Rückwärtsgewandtes sympathisiert mit dem Utopischen – eine frappierende Mesalliance also.

„Das Bürgertum oder was man früher so nannte, ist längst weggebrochen“, erklärt Melle. Längst sei die Gesellschaft auf dem Rückzug ins Private: Es geschehe eine „Prenzlauerbergisierung“: Man optimiere den Körper und lasse die Kinder Chinesisch lernen. „Und das geht einher mit dem Niedergang der Sozialdemokratie.“

Gerade hier in Bonn bebe dieser Tage auch diese Erschütterung noch nach. „Hier in Bonn ist die alte Bundesrepublik gestorben. Es stehen nur noch die Kulissen“, so Melle. So versuche die Gesellschaft nur noch Reste des Bürgerlichen, also den Status quo, aufrechtzuerhalten.

„Es mangelt heutzutage an Utopien. Wir haben keine Zeit mehr für Utopien“, betont Melle. Genau das spiegele die Kindergeneration der Clarenbachs im Stück, führt Dramaturgin Johanna Vater aus. Und es bleibe die Frage, ob es die Enkel im Stück schaffen werden, das seit 1989 hierzulande typische egoistische Kreisen um sich selbst zu durchbrechen und Haltung zu beziehen – wie auch immer.

Die Spielzeit des Bonner Theaters steht unter dem Motto „Wir brauchen dringend neue Lügen“. Lebenslügner Leo Clarenbach dürfte da mitsamt seinem sich über Jahre selbst betrügenden Clan bestens hineinpassen, meint Vater.

Termine: „Der letzte Bürger“ wird nur achtmal in den Kammerspielen Bad Godesberg gespielt: am 25. und 31. Januar, 17. und 23. Februar und 8. März um 19.30 Uhr sowie am 4. Februar um 18 Uhr.

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