Yvonne Rainer im Museum Ludwig Kopfkunst und Bewegung: Das Gehirn ist ein Muskel

Ein nacktes Paar, dargestellt von Steve Paxton und Becky Arnold, trifft sich in einem 60er-Jahre-Interieur mit weißem Sofa und einem hellen Werk der Minimal Art an der Wand. Wechselseitig wird ein weißer Gymnastikball bewegt, mal interagiert das Paar, mal nicht. Eine Story wird man umsonst suchen, dafür gibt es ritualisierte Bewegungen.

 Szene aus Yvonne Rainers Produktion "Bach from Terrain" (New York, 1963).

Szene aus Yvonne Rainers Produktion "Bach from Terrain" (New York, 1963).

Foto: Al Giese

Nichts Übersteigertes oder Pathetisches, sondern Gebärden und Aktionen aus dem Alltag, die in ihrer Entrücktheit im weißen Kunstraum bizarr wirken. Absurde Choreografie.

Das Schöne daran: Man gewinnt den Eindruck, dass die sympathischen und attraktiven Darsteller sich nach und nach der Künstlichkeit ihrer Aktion bewusst werden. Ein Lächeln huscht über das Gesicht. Am Ende hopsen die Nackten wie Kinder auf dem Sofa. "Trio Film" (1968) heißt dieser Beitrag, der eine Choreografie der US-Amerikanerin Yvonne Rainer dokumentiert und eigentlich alles versammelt, was die Kunst der 77-Jährigen so unwiderstehlich macht.

Der "Trio Film" ist eines von vielen Dokumenten und Kunstwerken, mit denen das Museum Ludwig in Köln unter dem Titel "Raum - Körper - Sprache" erstmals in Europa das Werk der außergewöhnlichen Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin Yvonne Rainer präsentiert. Eine Ausstellung über Tanz; funktioniert das? Das Museum Ludwig beweist, dass das geht. Und dass das sehr gut geht. Weit über ein Dutzend Filmstationen vermitteln sämtliche Phasen aus dem Werk, Dokumente aus dem Getty Research Institute, Los Angeles, geben einen Einblick in die Arbeit. Das Rainer-Festival wird komplettiert durch ein Filmprogramm in Köln und Tanz in Düsseldorf.

Faszinierend ist, was den einfach anmutenden und weit entfernt jeglicher klassischer Ausprägung gelagerten Bewegungsabläufen zugrunde liegt. Der Ausstellungsbesucher sieht Notizen, Aufführungspläne, Bewegungsskizzen und ausufernde Partituren, in denen die Choreografie für eine Vielzahl von Akteuren in Gestalt einer Synopse festgelegt wird.

Klima der 60er Jahre wird in der Schau lebendig

Viele Einflüsse kommen hier zusammen. Das Museum Ludwig zeigt einen repräsentativen Querschnitt, der von frühen Performance-artigen Aktionen mit Robert Morris in Düsseldorf ausgehend zunächst die politischen und künstlerischen Statements "Parts of Some Sextets", "The Mind is a Muscle" (Das Gehirn ist ein Muskel) und "Trio A" der 60er Jahre in den USA präsentiert. Wir folgen dem Werk weiter zu den Filmprojekten der 70er, bei denen nun die Kamera tanzt, der Stil dokumentarisch und die Machart experimentell anmutet. Und dann, um 2000, steht wieder der Tanz auf der Bühne im Mittelpunkt von Rainers Aufmerksamkeit.

1957 war die gebürtige Kalifornierin nach New York gekommen, ins Zentrum der Kunst. Sie studierte bei Martha Graham und Merce Cunningham, legte aber bald Grahams Ausdruckstanz und Cunninghams Aleatorik ab, ließ sich von Minimal-Künstlern wie Carl André und Robert Morris und dem Allrounder Robert Rauschenberg, von Literatur und Musik inspirieren. Die Durchlässigkeit der Künste in den 60ern führte zu einem offenen Dialog. In Performance und Happening fanden sich die adäquaten Spielarten. Und in den Choreografien von Rainer.

Das Klima jener fruchtbaren Zeit, die den Alltag zur Kunst machte und die Kunst in den Alltag brachte, wird in der Schau lebendig. Nicht zu vergessen Rainers herrliche Selbstironie. Zu sehen in ihrem Beitrag zur documenta 2007, der den Schlusspunkt zu einer inspirierenden Schau setzt: Die Akteure tanzen den hehren "Sacre du Printemps", wie ausgelassene Schüler es täten. Pfiffe aus dem Off. Und jeder hat seinen Spaß.

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