Kunstmuseum Bonn Kino im Kopf

BONN · Man sieht auf dem Foto Fußabdrücke in einem dunklen Fleck - Spuren eines Blutbads? Man sieht einen verdrehten Leib und erahnt im Hintergrund eine Polizeimarke - willkürliche Verhaftung? Man sieht einen Mann in Schutzkleidung bäuchlings auf dem Boden liegen - tödliche Seuche?

 Die Eltern des Künstlers: Larry Sultans "My Mother Posing for Me" (1984).

Die Eltern des Künstlers: Larry Sultans "My Mother Posing for Me" (1984).

Foto: Galerie Thomas Zander, Köln

Die drei Fotos gehören zur Serie "Evidence", was Beweis heißt, in dieser Serie aber alles andere als eine gesicherte Erkenntnis bedeutet. Aus zwei Millionen Fotos, die sie in Polizeiarchiven, in Forschungsinstituten und sonstigen Karteikästen gefunden haben, stellten Larry Sultan und Mike Mandel 1977 ihre "Evidence"-Serie zusammen: Eine Dokumentation, die eigentlich keine ist, da die "Beweise", aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, nur noch Spekulationen sind, Futter für das Kino im Kopf. Es wird wohl keinen Besucher des Bonner Kunstmuseums geben, der vor den 73 "Evidence"-Fotos steht und nicht dazu verführt wird, sofort einen Film vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen. Das gilt für die Fotos der 70er wie - noch mehr - für die, die Larry Sultan im Pornofilm-Paradies im kalifornischen San Fernando Valley machte.

Downtown Los Angeles und die Bilder- und Traumfabrik Hollywood liegen nur wenige Meilen entfernt. Doch der im Valley aufgewachsene Sultan (1946-2009) vermied es, seine Geschichten filmisch auszuerzählen. Er gibt kleine Hinweise, aktiviert die Fantasie, legt auch Spuren, die in die Irre führen. Erstmals in Europa zeigt das Kunstmuseum mit tätiger Unterstützung des Kölner Galeristen Thomas Zander einen Überblick über das faszinierende Werk Larry Sultans. Nach Mitch Epstein und Lewis Baltz ist in Bonn nun also erneut ein großer US-Fotograf zu sehen. Wobei Sultans Anfänge eher in der Konzeptkunst liegen und er damit als Pionier der Appropriation Art (Kunst der Aneignung fremden Materials) gilt, wie das Museum eindrucksvoll belegt. Noch in den späteren Arbeiten bleiben Momente der Konzeptkunst spürbar.

Sultans Fotowerk kreist um das Thema Heim, Heimat, Privatsphäre. Im "Valley" vermieten Bewohner für eine Handvoll Dollar ihre Häuser, die dann für Stunden oder Tage zum Set für Porno-Drehs werden. Die Serie "The Valley" zeigt diese bürgerlichen Locations, die spießigen Küchen und Wohnzimmer, in denen - man ahnt es oder vermutet es anhand etlicher liegengebliebener Utensilien oder stehen gelassener Scheinwerfer - eifrig agiert wurde. Hier ruht sich eine nackte Aktrice aus, dort blickt ein ermatteter Sexarbeiter durchs Fenster. Im gepflegten Garten entspannt sich die Crew in einer Drehpause, ein Model telefoniert, drei Boxer-Hunde gehen vor ihr in eine Art Anbetungshaltung. Humor trifft hier auf Tristesse, feuchte Träume begegnen dem schnöden Alltag, der die Kulisse für "The Valley" bildet.

In der brillanten Serie "Pictures from Home" (1992) beleuchtet Sultan das Leben seiner Eltern Irving und Jean in ihrem Haus in Palm Springs. Es ist eine melancholische, liebevolle Homestory, perfekt inszeniert in der Art der Tableaux vivants (lebende Bilder). Beleuchtung, Bildschärfe, Farben, jede einzelne Szene, Spiegelungen und verhangene Sehnsuchtsblicke erscheinen akkurat komponiert. Das Drama läuft im Kopf ab, eine überdimensionale Rasierklinge auf einem Foto irritiert. Irving Sultan hatte solche Klingen verkauft, bevor er arbeitslos wurde. Die wunderbare Ausstellung endet mit Larry Sultans letzter, unvollendeter Serie "Homeland", in der großformatige Landschaftsfotografie und Performance ineinandergreifen. Sultan hatte lateinamerikanische Tagelöhner für Geld gebeten, sich in einer Welt, die nicht ihre ist, in einem Habitus zu bewegen, der nicht ihrer ist. Eine hoch brisante, rätselhaft-düstere Serie.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 17. Mai. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Eröffnung: heute, 20 Uhr. Katalog (Kerber) 30 Euro

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