"Louder Than Bombs" Joachim Triers intensiver Film läuft in der Brotfabrik

Bonn · Die Idylle trügt. Jakob Ihres Kamera beobachtet zu Beginn von "Louder Than Bombs" junges Elternglück im Krankenhaus. Der intensive Film von Joachim Trier läuft ab Donnerstag im Kino in der Brotfabrik.

Jonah (Jesse Eisenberg) hält zum ersten Mal das Baby im Arm, seine Frau lächelt sanft und müde, die familiäre Dreisamkeit scheint perfekt. Kurz darauf jedoch wird er seine Frau belügen, ihr verschweigen, dass er gerade im Krankenhaus seiner ehemaligen Freundin Erin (Rachel Brosnahan) begegnet ist.

Der Norweger Joachim Trier hat sich mit seinem Debüt "Auf Anfang" 2006 und 2011 mit "Oslo, 31. August" einen Platz unter den wichtigen europäischen Autorenfilmern erarbeitet. Trier (Drehbuch mit Eskil Vogt und Regie) führt gleich zu Anfang die Leitmotive von "Louder Than Bombs" ein. Es geht in der in den USA spielenden Geschichte um Geheimnisse, die Menschen auch in intimen Beziehungen bewahren, um unausgesprochene Erwartungen aneinander, unerfüllte Sehnsüchte, Enttäuschungen, Trauerarbeit und wortlose Selbstbezogenheit.

Die Handlung setzt drei Jahre nach dem Selbstmord der berühmten Kriegsfotografin Isabelle Reed (Isabelle Huppert) ein. Ihr Mann Gene (Gabriel Byrne) und die Söhne Jonah (Eisenberg) und Conrad (Devin Druid) erscheinen nicht als Gemeinschaft, sondern als versehrte Einzelgänger. Erlöst vom Trauma nach dem Tod der Frau und Mutter sind sie noch lange nicht, der Prozess der Annäherung ist schmerzvoll und kompliziert.

Gene, der die Schauspielerei einst für einen Lehrerjob aufgab, versucht sich in einer Affäre mit einer Kollegin (Amy Ryan) neu zu erfinden. Er spürt seinem jüngeren Sohn Conrad nach, der sich der Kommunikation durch Flucht in Fantasiewelten und Videospiele entzieht. Jonah, akademisch als Professor erfolgreich, ächzt unter dem Joch seiner Ansprüche und unter den Zwängen des Familienlebens. Joachim Trier kennt sich aus mit Menschen in der Krise. Sucht und Entzug, Psychose, Depression und Selbstmordversuche, das ist das Material, aus dem er seine Filme formt. Eine der Figuren in "Auf Anfang" windet sich in den Fängen einer Psychose. "Oslo, 31. August" konfrontiert das Publikum gleich in der ersten Szene mit dem Selbstmordversuch des Protagonisten, des 34-jährigen Anders.

Stilistisch ist Trier, der jetzt zum ersten Mal mit internationalen Stars und auf Englisch gedreht hat, in der Avantgarde zu Hause. Wirklichkeit und Fantasie verschmelzen ebenso wie Gegenwart und Vergangenheit. Träume, die das Seelenchaos der Figuren spiegeln, erscheinen so plausibel wie die Realität. Der Film gleicht einem Mosaik, bestehend aus Zeitsprüngen, Rückblenden, Erzählerstimmen aus dem Off und elegischen Reflexionen über die Halbwertszeit von Beziehungen oder die Verantwortung von Kriegsfotografen.

Triers Kunst besteht darin, das Artifizielle ungekünstelt erscheinen zu lassen. Seinen Schauspielern gönnt er viel Raum, um ihre Figuren zu entwickeln und mit Leben zu erfüllen. Gabriel Byrne als Vater besitzt viel von der Wärme, Intelligenz, dem Humor, aber auch der Ratlosigkeit und stillen Verzweiflung, deren Darstellung er als Psychiater Paul Weston in der Fernsehserie "In Treatment" perfektioniert hat. Isabelle Huppert, die in den Rückblenden auftritt, strahlt als Fotografin und Mutter eine gespenstisch anmutende Ruhe aus; die Risse in der Maske zeigt sie gleichzeitig auf subtile Weise.

Jesse Eisenberg und Devin Druid können den Kollegen Paroli bieten. Eisenberg kultiviert als Jonah eine Ehrgeiz-Hysterie, die ihn antreibt und zugleich lähmt. Devin Druid taucht als Conrad tief hinein in das parallele Universum von Videospielen. Der geborene Außenseiter findet selbst wieder heraus, er öffnet sich der Wirklichkeit, aber erst, als er einem Mädchen seine Verliebtheit offenbart - auf ganz und gar unkonventionelle Weise. Joachim Trier hat selbst Nebenrollen perfekt besetzt. David Strathairn entwickelt als Isabelles langjähriger Kollege Richard die brütende Intensität eines unglücklich Verliebten. Amy Ryan (Hannah) spielt eine Frau, die im Unterschied zu den meisten anderen Figuren in ihrem Leben da ist, wo sie sein will. Rachel Brosnahan verkörpert als Erin das Prinzip größtmöglicher Authentizität und Ehrlichkeit. Doch auch sie belügt Jonah. Brotfabrik

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