"Carmen" in der Bonner Oper Jeder Flirt ist gefährlich

Bonn · Carmens Verführungskraft lässt nicht nach. Neben Bizets Oper gibt es unzählige Filmadaptionen der 1847 erschienenen Novelle von Prosper Mérimée, dazu auch Choreografien wie das abendfüllende "Carmen"-Handlungsballett von John Cranko, das 1971 in Stuttgart uraufgeführt wurde.

 Junge, freche, unbekümmerte Femme fatale: Emilia Gisladöttir verkörpert Carmen.

Junge, freche, unbekümmerte Femme fatale: Emilia Gisladöttir verkörpert Carmen.

Foto: Theater Bonn

Zeit für eine neue Version, dachte sich die Companía Nacional de Danza aus Madrid und legte den urspanischen Stoff in die Hände eines Nordländers: Der schwedische Choreograf Johan Inger hat die "Carmen" inszeniert, die erst vor zwei Monaten in Madrid Premiere hatte und ihr internationales Debüt Samstag und Sonntag in der Bonner Oper feierte. Inger kann nicht anders, er muss Distanz aufbauen zu einer Geschichte, die vor Leidenschaft, Eifersucht, Liebes- und Mordlust nur so trieft.

Mit der Figur eines unschuldigen Kindes (Jessica Lyall), das zunächst neugierig das Geschehen von außen beobachtet, dann aber mehr und mehr in den Strudel der Gewalt hineingezogen wird, erschafft er eine Zwischeninstanz mit unverstelltem Blick.

Auch Bizets Musik erklingt nur selten unverfremdet; oft werden "Habanera" und "Toreador" mit düster stampfenden elektronischen Klängen kombiniert. Curt Allen Wilmer hat die Bühne mit nüchterner Strenge gestaltet, doch die variablen Wandelemente, die auf einer Seite verspiegelt sind, lassen sich zu immer neuen Formationen zusammenschieben und geben zusammen mit den Lichteffekten jeder Szene den passenden Rahmen.

Hier tanzt Emilia Gisladöttir ihre Carmen, eine junge, freche, unbekümmerte Femme fatale, die wie ein Schmetterling zwischen Don José, Escamillo (Isaac Montllor als Rockstar-Torero) und Zuniga hin- und herflattert und sich weder von Macho-Attitüden noch gebrochenen Herzen die Flügel stutzen lässt.

Ihr erster Auftritt zusammen mit den anderen Arbeiterinnen ist der hellste, glücklichste Moment der Inszenierung: Inger fasst die verspielte Erotik in unverbrauchte moderne Ausdrucksmittel und Reminiszenzen ans klassische Ballett, die harmonisch zu einer Tanzsprache voller Tempo und Originalität ineinanderfließen.

Doch in jedem Flirt, in jedem ernsthaften Pas de deux bleibt die unterschwellige Androhung von Gewalt präsent. Und verstärkt sich im zweiten Teil, als die todbringenden Schatten in schwarzen Anzügen und schwarzen Masken immer zahlreicher werden und den verzweifelten Don José zu überwältigen suchen.

So eindrucksvoll Dan Vervoort die inneren Kämpfe seiner tragischen Figur auch in gequälte, zuckende und aufbegehrende Gesten übersetzt - diese zweite Hälfte der Inszenierung hat Längen, von denen auch eine plakative Bildsprache nicht immer ablenken kann. Die kurz vor Carmens Tod retardierend eingeschobene Traumszene mit einer Vater-Mutter-Kind-Idylle schrammt wie einige andere Momente nur haarscharf am Pathos vorbei.

Doch was soll's? Die Companía Nacional de Danza kann hervorragend tanzen. Körperliche Präsenz, Ausstrahlung und Technik von Solisten und Ensemble helfen dieser "Carmen" über jede konzeptuelle Schwächen hinweg. Der Bonner Beifall für die deutsche Erstaufführung ist lang und enthusiastisch.

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