Zwölftägige Aktion in Bonn Performance-Ikone Marina Abramovic in der Bundeskunsthalle

Bonn · Performance-Ikone Marina Abramovic spricht in der Bonner Bundeskunsthalle über ihre zwölftägige Aktion „The House with the Ocean View“

Es ist ein hochemotionaler Augenblick für alle Seiten. Als Marina Abramovic ganz in Schwarz am langen Tisch Platz nimmt, der in ihrer Ausstellung „The Cleaner“ in der Bundeskunsthalle dem Zählen und Sortieren von Reiskörnern vorbehalten ist, herrscht Spannung pur. Nach der Vernissage ist es der erste und einzige Besuch der Performance-Ikone in der Bonner Schau. Die 1946 in Belgrad geborene Künstlerin ist sichtlich ergriffen, kämpft mit den Tränen, als sie über ihre Aktion „The House with the Ocean View“ von 2002 und deren erste Neuaufführung überhaupt in der Bundeskunsthalle redet. Donnerstagvormittag soll sie, so hört man, angesichts der von Lyn Bentschik realisierten Re-Inszenierung in Tränen ausgebrochen sein.

Erinnerungen kommen hoch an die Zeit, als Abramovic Ende 2002 in der New Yorker Sean Kelly Gallery zwölf Tage und zwölf Nächte ohne zu essen und zu reden hoch über dem Boden in den drei offenen, schwebenden Kojen und vor den Augen des Publikums verbrachte. Für Abramovic war diese Aktion kurz vor ihrem 56. Geburtstag eine existenzielle Erfahrung. Jetzt, bei der Wiederaufführung, kehren die Emotionen von damals zurück. „Es gibt keine Gegenwart und Zukunft, man ist nur noch im Hier und Jetzt“, erzählt sie und berichtet, dass sie sich immer am Rand der Kojen aufgehalten habe, um diese Spannung zu spüren.

Die nicht unumstrittene Wiederaufführung ist für sie ein erhabener Moment: „Es ist so emotional, jetzt weiß ich, dass die Arbeit nicht verloren ist, sie ist ewig“, sagt sie mit sattem Pathos in der dunklen Stimme. Die Bundeskunsthalle sei das erste Museum, „das den Mut hatte, dieses schwierige Stück zu zeigen – Risiken einzugehen, ist in der Performancekunst essenziell“. Vor einem halben Jahr wurde die Tänzerin Bentschik für die Aktion gecastet, „ich kann dieses Stück nicht mehr machen“, sagt die heute 71-jährige Abramovic.

Energie im Kopf

„Drei Tage lang hatte ich großen Hunger, war übersäuert“, erinnert sich Abramovic an die Performance von 2002, „am sechsten Tag war dann diese ganze Energie im Kopf“. Und dann kamen „verrückte Träume“. Etwa der mit der großen Schlange und der Schildkröte. Am Ende frisst die Schlange, die für den Kosmos stehe, die Schildkröte, die Zeit versinnbildliche.

Es gehe darum, „einfache Rituale in etwas Magisches zu verwandeln“, sagt sie über den monotonen Ablauf, der Schlafen, drei Mal Duschen am Tag und gelegentliche Besuche auf der offen einsehbaren Toilette beinhaltet. Und sie erläutert den Weg ins Magische anhand einer schönen Anekdote. Während sie 2002 bei der Aktion einen Besucher fixierte, verspürte sie plötzlich starken Harndrang. Um die intensive dialogische Blicksituation mit dem Besucher nicht abbrechen zu lassen, steuerte sie voll konzentriert mit kleinen Seitschritten auf die Toilette zu und baute das Urinieren in die „magische Handlung“ ein. Laut lachend berichtet Abramovic von einem „mystischen Wasserfall“.

Alles habe in der Aktion eine höhere Bedeutung, Alltagsrituale werden zu quasi-kultischen Handlungen, mit den verschiedenen Overall-Farben verbindet sich die Akteurin mit dem Mond, weiteren Planeten und der Sonne und deren Energien. Man kann das für esoterisches Klimbim halten, viele Besucher der Aktion sind aber auch ergriffen – an Abramovic scheiden sich die Geister.

So sehr bei Abramovic angesichts der Re-Inszenierung von „The House with the Ocean View“ Emotionen mitspielen, so sehr ist diese Aktion für sie Vergangenheit. „Lyn Bentschik ist nicht mein jüngeres Ich, sie ist die Zukunft“, sagt sie, „ich will auch nicht mehr mein jüngeres Ich sein, es geht mir so viel besser heute.“

Am Ende ihres Statements richtet sie sich noch einmal direkt ans Publikum: „Der Ozean, das seid ihr, geht hin zu Lyn, gebt ihr Energie, sie braucht es.“ Bis zum 24. Juni ist dazu Gelegenheit, außerplanmäßig öffnet die Bundeskunsthalle dafür auch am Montag, 18. Juni.

Bundeskunsthalle, Ausstellung bis 12. August, Performance bis 24. Juni. www.bundeskunsthalle.de

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