Großartige "La Bohème"-Inszenierung an Bonner Oper

Hilsdorfs klarsichtige Regie und Wächters hervorragende musikalische Arbeit lässt Bonner Oper ihr "Freax"-Debakel vergessen

Großartige "La Bohème"-Inszenierung an Bonner Oper
Foto: Thilo Beu

Bonn. Dies ist kein einsamer Tod in der Dachkammer. Mimi stirbt öffentlich. Alle beobachten das Sterben: der Maler, der Philosoph, der Musiker und Rodolfo, der Dichter und Geliebte. Das Faszinosum Tod zieht sie auf merkwürdige Weise an - und sie beuten die Sterbende gleichsam aus, ziehen künstlerischen Gewinn aus dem Ende.

Für den Maler ist sie Modell, für den Philosophen Ideengeberin, für den Musiker vielleicht ein Requiem, für den Dichter ein nicht zu Ende geschriebener Roman. Das Klacken seiner Schreibmaschine mischt sich mit der musikalischen Wehmut, mit der Puccini diesen Tod umgibt. Die Liebe und der Tod, sagt man gern, sind die beiden großen Themen des Theaters. Für Giacomo Puccini und seine "Bohème" trifft das auf jeden Fall zu.

Und Regisseur Dietrich Hilsdorf, der die Szenen aus dem Künstlerleben in der Bonner Oper inszeniert, wagt sich mit diesem Finale gewissermaßen ans Innenleben der Kunst. Es ist ein kühnes, aber zugleich logisches Zu-Ende-Denken des Stoffs. Hilsdorf ist gerade für den Deutschen Theaterpreis nominiert worden; das war überfällig, weil es in der Szene nur wenige Regisseure gibt, die auf ähnlich mitreißende Art perfektes Handwerk und Kreativität verbinden. Hilsdorf forscht in seinem Theater-Personal, entdeckt verborgene Seiten.

Puccinis Mimi ist ein gutes Beispiel dafür: In Bonn sieht man nicht ein Kunstblumen stickendes Unschuldswesen, sondern eine junge Frau, die sich ihrer Erotik durchaus bewusst ist und sie auch einsetzt. Kaum einem anderen Regisseur gelingen Massenszenen wie beispielsweise die am Weihnachtsabend im Quartier Latin ähnlich bewegt als Mosaik aus hundert unterschiedlich gezeichneten Charakteren.

In dieser Inszenierung gibt es nichts Gemütliches mehr, keine falschen Schluchzer; sie hat etwas Bedrohliches. Geradezu im Vorübergehen meuchelt da jemand eine Prostituierte; das ist keine effektheischende Zutat, sondern bildgewordenes Gefühl der Unsicherheit. Man lebt auf schwankendem Boden in dieser "Bohème", lediglich das Atelier des Künstler-Quartetts bleibt wie eine Skulptur über alle vier Bilder (Bühne: Dieter Richter) erhalten.

Diese großartige, klarsichtige Inszenierung hat Bonn nach dem "Freax"-Debakel zum Saisonstart dringend gebraucht. Zum Ereignis wird der Abend freilich erst dadurch, dass mit Erich Wächter am Pult des Beethoven Orchesters ein Dirigent steht, der sich ebenfalls eine unverbrauchte Sicht auf Puccini bewahrt hat.

Nicht nur, dass Wächter die ideale Balance von Strenge und Freiheit findet, dass Sentimentales bei ihm nie zur Schnulze verkommt - er durchleuchtet zudem die Partitur bis in kleinste Details, zeichnet mit kräftigen Strichen: Puccini klingt hier dramatischer und moderner, als man denken möchte. Solche Sicht passt wiederum zusammen mit einem Ensemble, das nicht auf Tränen spekuliert, sondern auf Musikalität.

Julia Kameniks Mimi ist frei und leicht angelegt, mit ganz berührenden Piano-Abschattierungen, Bülent Külekci als Rodolfo wirkt im Parlando ebenso ungezwungen strahlend wie in seinen Spitzentönen. Aris Argiris (Marcello), Martin Tzonev (Colline), Mark Morouse (Schaunard) und Nikolai Miassojedov (Benoit) - das sind vier weitere Pluspunkte einer rundum empfehlenswerten Produktion.

Karten unter anderem in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers

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