Bonner Jazzfest Großes Kino

BONN · Junge Wilde treffen auf Tradition, Rotzigkeit trifft auf Stil, schroffe, kantige Soli begegnen einem satten, ausgereiften Sound. Kann das gut gehen? Ja!

 Entführung in eine ferne Welt: Der Trompeter Nils Petter Molvær begeistert im Telekom Forum.

Entführung in eine ferne Welt: Der Trompeter Nils Petter Molvær begeistert im Telekom Forum.

Foto: Jazzfest Bonn

Dazu braucht es Impulsgeber, die sich nicht verbiegen lassen, einen Klangkörper der so gut ist, dass er aus Ideen großes Kino machen kann, und einen Mann, der alle Fäden zusammenführt. Für das Jazzfest Bonn hat der Bandleader Florian Ross Stücke von John-Dennis Renken (Trompete) und Andreas Wahl (E-Gitarre) - beide vom Essener Zodiak-Trio, das dem Acid Jazz und Jazz Metal zugerechnet wird - für die WDR Big Band arrangiert.

In der Bundeskunsthalle kamen Ross, Renken, Wahl und die brillante Big Band am Freitagabend zu einem hitzigen, furiosen Rendezvous zusammen. Nach einem etwas verregneten und verhuschten "April" war das Ensemble in der Spur, legte mit "Vulicious Red Ears" richtig los. Renkens aggressives Spiel wird von dem Wespenschwarm-ähnlichen, nicht minder bedrohlichen Sound der Band beantwortet. Wahls ruppige Riffs treffen auf Big-Band-Musiker wie Bastian Stein und Paul Heller, die, wie einige andere auch, solistisch glänzen.

Diese Big Band scheint sich bei jeder Nummer neu zu erfinden und zu definieren: Ein wattiger Klangteppich mit Querflöten und gedämpftem Blech bei "Fotoalbum"; eine passende Antwort auf Wahls Hardrock-Intro in "Nachteulen"; feine analoge Bläsersätze als Grundierung für Renkens und Wahls Elektro-Effekte; wildes, schnelles, orientalisches Gesäusel bei "Strich zwölf"; zartes und filigranes Spiel bei "Elfen". Ein musikalisches Ereignis der Extraklasse im Forum der Bundeskunsthalle.

Zu bewältigen war dieser Sturm der Eindrücke wahrscheinlich nur für ein tiefenentspanntes, restlos "gechilltes" Publikum. Dafür hatten zu Beginn des Abends Nik Bärtsch am Piano und Sha an der Bassklarinette gesorgt. Wer auf den letzten Drücker vom Büro ins Konzert gehetzt war, bekam von den beiden eine musikalische Fußreflexzonenmassage verpasst.

Hypnotische, unglaublich sanfte, bedächtig hingetupfte Pianoklänge und das Brummen der Klarinette packten den Zuhörer in Watte. Tonwiederholungen, minimale Verschiebungen, ruhige Rhythmik sollten, so der Zürcher Bärtsch, der in Gewand und Gestalt eines asiatischen Mönchs auf der Bühne des Forums saß, zur "Ekstase durch Askese" führen. Ein Blick in die Augen mancher Besucher verriet, dass das Konzept nicht ganz aufgegangen ist.

Anderes bei Nils Petter Molvær, der das Publikum am Samstag im Telekom Forum in seinen Bann zog, es für etwas über eine Stunde in eine andere, verwunschene, märchenhafte Welt entführte, in der eine überwältigende Soundwolke mit der Bilderflut auf der Projektionswand korrespondierte.

Nonstop spielte der norwegische Trompeter mit seiner wunderbaren Band sein neues Programm "Switch", ein opulentes, wummerndes, mit Bass (Jo Berger Myhre) und voluminösem Schlagzeug (Erland Dahlen) aufgeladenes Klangfeld, in das Molvær seinen sphärisch-schlanken, oft sehr zart und brüchig klingenden, manchmal nur gehauchten Trompetenton stellte. Ein Gefühl von Einsamkeit in einer tosenden Welt.

Bisweilen flüstert und singt Molvær leise in seinen Trompetentrichter - ein Effekt von vielen, die dieses einzigartige Konzert prägen. Es wird geknistert und geklappert, es erklingen Glocken, und immer wieder wallt die grollende Grundierung der Basstrommeln auf. Wie Molvær auf die geniale Idee kam, seinem asketischen, wie ein Polarlicht schwirrenden Trompetenspiel ein süßliches Jaulen aus Nashville gegenüberzustellen, wird sein Geheimnis bleiben.

Es ist der Clou: Geir Sundstøl ließ auf der Pedal-Steel-Gitarre, einem in der Country-Musik gebräuchlichen Tischinstrument aus zwei Gitarrenhälsen, den Cowboy raus. Sundstøl, optisch eine Mischung aus Elvis und Buddy Holly, griff auch noch zum Banjo und zur Mundharmonika. Das sind ganz neue Farben in Molværs Klangmalerei. Das Publikum war hingerissen, wachte nur ungern auf aus diesem Traum.

Le Bang Bang und Trio Elf, die in Gestalt des Bassisten Sven Faller eine Schnittmenge haben - er spielt bei beiden Formationen - hatten das Konzert im Telekom Forum eröffnet. Sängerin Stefanie Boltz übernahm mit etwas zu braven Improvisationen und launigem Kommentar den Auftakt, sekundiert durch Faller. Der Funke wollte nicht so recht überspringen. Erst als Faller mit Drummer Gerwin Eisenhauer und Walter Lang am Piano als "Trio Elf" einstiegen, wurde es spannend, bekam noch die banalste Tonfolge ein schillerndes Kleid.

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