Gentleman: Rastaman vom Rhein

Der international erfolgreiche Sänger Gentleman (35) aus Köln geht mit seinem aktuellen Erfolgsalbum auf Tournee und spielt auch beim 25. Summerjam am Fühlinger See.

 Tilmann Otto alias Gentleman.

Tilmann Otto alias Gentleman.

Foto: ap

Er steht an der Spitze der deutschen Album-Charts: Tilmann Otto alias Gentleman. Der Kölner hat sich weltweit einen Namen als Reggae-Sänger gemacht, wurde bereits mit Echo und Comet ausgezeichnet.

Auf seinem neuen Album „Diversity“, das zu großen Teilen auf Jamaika produziert wurde, sprengt er die Grenzen des Reggae. Seine Hymnen kommen mit wuchtigem Piano, sanften Streichern und seligem Chorgesang daher. Olaf Neumann sprach mit Gentleman auch über die politischen Verhältnisse in Jamaika, über Religionen und die Ursachen von Gewalt.

General-Anzeiger: „Diversity“ lässt sich frei mit „Artenvielfalt“ übersetzen. Auf dem Album reizen Sie alle Formen und Farben des Reggae aus. Ist das überhaupt noch Reggae?

Gentleman: Reggae bleibt der rote Faden in meiner Musik. Doch es war ein Punkt erreicht, an dem ich auch mal wieder elektronischere Sachen machen wollte. Ich plane nicht bewusst, den Reggae neu zu erfinden.

GA: Sondern?

Gentleman: Ich folge immer nur meiner Intuition und kenne dabei keine Berührungsängste. Um den musikalischen Veränderungen in meiner Musik Rechnung zu tragen, musste ich meine Begleitband ein wenig umbesetzen. Es gibt jetzt zwei Keyboarder und nur noch einen Gitarristen. Sie heißt nunmehr Evolution und nicht mehr Far East Band. So sind insgesamt 28 Songs entstanden, die sich alle voneinander absetzen.

Gentleman live 6. Mai: Köln, Palladium
2. Juli: 25. Summerjam, Köln, Fühlinger SeeGA: Also genug Material für die Tour?

Gentleman: Ich bin heilfroh, dass ich so viele Konzerte spielen kann. Denn im Reggae-Bereich wird mehr illegal downgeloadet als anderswo.

GA: Sie konnten den weltberühmten Reggae-Schlagzeuger Sly Dunbar gewinnen, der bereits für die Rolling Stones und Bob Dylan getrommelt hat. Wie ergab sich die Zusammenarbeit?

Gentleman: Ich habe Sly in einem Studio in Kingston getroffen. Die Stadt ist zwar sehr groß, aber man kann dort sehr schnell andere Musiker kennen lernen. Die Zusammenarbeit war unkompliziert.

GA: Gentleman ist auch in Südamerika, Afrika und USA eine anerkannte Größe. Überrascht?

Gentleman: Wir haben Anfragen aus Israel, Australien, Neuseeland und Japan. Davon zu träumen hätte ich nie gewagt. Ich liebe das Tourleben, Kalifornien ist toll, aber ich bin inzwischen auch gerne zu Hause. Ich habe schließlich einen neunjährigen Sohn.

GA: Das Video zur neuen Single „It No Pretty“ ist ein Schocker: Sie werden darin von Jugendlichen an einer U-Bahn-Haltestelle blutig geschlagen. Eine Anspielung auf reale Vorkommnisse?

Gentleman: Ich habe einen neunjährigen Sohn und weiß, was allein bei ihm auf dem Schulhof schon passiert.

GA: Was passiert dort?

Gentleman: Wenn wir früher auf dem Boden gelegen und drei Mal geklopft haben, dann war die Keilerei vorbei. Aber heute fängt sie dann erst richtig an. Das macht mir Angst.

GA: Was kann das Video bewirken?

Gentleman: Mit dem Video will ich eine Diskussion auslösen. Der Verletzte im -Video erfährt „erste Hilfe“ durch einen Wolf. Bei mir ist der Mensch die wahre Bestie.

GA: Akzeptieren Sie eine Entschuldigung für Gewalt?

Gentleman: Nein, aber es gibt auf jeden Fall eine Erklärung. Bei den meisten Gewalttätern spielt das persönliche Umfeld eine große Rolle. Wenn ich beim Elternabend bin, darf ich mich nicht wundern, warum manche Kids so drauf sind.

GA: Warum sind die Kids so drauf?

Gentleman: Weil sie zu Hause nur soziale Kälte erfahren und deshalb keine Gefühle empfinden. In dem Song stelle ich viele Fragen, jedoch ohne sie zu beantworten.

GA: Was hindert Sie daran?

Gentleman: Es gibt schließlich auch Kids aus behütetem Elternhaus, die Liebe bekommen haben und aus purer Langeweile ausrasten. Darauf habe ich keine Antwort. Es tut trotzdem gut, so etwas durch Musik zu thematisieren.

GA: Ihre zweite Heimat ist Jamaika. Das Land hat ein noch viel größeres Gewaltproblem als Deutschland, oder?

Gentleman: Ja, aber anders: In Jamaika treten sie nicht rein, sondern drücken gleich ab. Ich bin froh, dass in Deutschland weniger Waffen präsent sind. In Jamaika ist es extrem.

GA: Gibt es persönliche Erlebnisse?

Gentleman: Ich habe mich dort mal mit einem richtigen Killer-typen unterhalten. Er sagte, er würde meine Musik so sehr lieben. Aber er musste einen anderen Mann umbringen, weil dieser seinen iPod geklaut hatte. In Jamaika kannst du an jeder Ecke Waffen kaufen. Aber es gibt auch viel Hunger. Deswegen regen mich Rapper auf, die in Deutschland über Ghettos singen. Ghettos gibt es bei uns nicht.

GA: Ist auch der Reggae eine Macho-Musik?

Gentleman: Es gibt allgemein viele Machos – auch im Reggae. Reggae war nie eine ausschließlich sanfte und friedliche Musik. Das wurde immer missverstanden. Alle glaubten, beim Reggae gäbe es nur dieses Sunshine-Feeling, bei dem alle gut drauf sind und sich die Birne zukiffen. Aber Bob Marley hat schon gesungen: „I Shot The Sheriff“. Damals dachten alle noch, das sei peaceful.

GA: Und heute?

Gentleman: Heute droht Reggae ins andere Extrem abzugleiten. Homophobie beispielsweise ist in der jamaikanischen Gesellschaft fest verankert, wie übrigens auch in der muslimischen und der christlichen Welt. Homophobe Reggae-Sänger wie Sizzla benutzen Metaphern, die man nicht versteht, wenn man sich mit ihnen nicht auseinandersetzt. Sizzla kann Homosexualität einfach nicht mit seinem Rasta-Glauben vereinbaren. Ich selbst begreife nicht, wie man jemanden aufgrund seiner Sexualität diskriminieren kann. Aber der Papst sagt letztlich dasselbe wie ein Sizzla, nur weniger radikal.

GA: Die Platten von Sizzla sind mittlerweile in Deutschland indiziert. Zu Recht?

Gentleman: Diese Diskussion ist aus dem Ruder gelaufen. Ich möchte lieber an den Gemeinsamkeiten festhalten und nicht an den kulturellen Differenzen, denn die wird es immer geben. Musik hat definitiv die Fähigkeit, Menschen zu verbinden.

GA: Jamaika hat weltweit die meisten Kirchen pro Quadratkilometer. Welche Rolle spielt die Religion im Reggae?

Gentleman: Eine große. Der Rasta-Glaube ist weiter verbreitet, als man glaubt. Offiziell gibt es in Jamaika 85 Prozent Protestanten: Ich habe aber den Eindruck, dass die Rastas überwiegen. Ich benutze lieber den Begriff „Spiritualität“.

GA: Was ist der Grund?

Gentleman: Ich sehe, was Religion anrichten kann. Aus religiösen Gründen sind Kriege entstanden. Wenn Rasta bedeutet, die Wahrheit zu suchen, dann bin ich einer. Rasta hilft vielen Leuten, von der Straße runter zu kommen und im Leben einen Sinn zu finden. Es gibt viele Parallelen zwischen dem Rasta-Glauben und dem Alten Testament. Aber in erster Linie bin ich Musiker und kein Missionar.

GA: Ihr Vater ist Pastor. Wie ist das Verhältnis?

Gentleman: Wir haben eine unterschiedliche Meinung zum Christentum, halten uns aber an unseren Gemeinsamkeiten fest. Ich kann es akzeptieren, wenn jemand in seiner Religion Halt findet. Für mich selbst ist Gott eher ein Konzept. Der Wille zum Gerechten. Ich glaube nicht an die heile Welt, aber nach wie vor an das Gute im Menschen.

Zur PersonAm 19. April 1970 in Osnabrück als Tilmann Otto geboren und in Köln-Neubrück aufgewachsen.

Mit 17 reist Otto das erste Mal nach Jamaika. Die Reggae-Platten seines Bruders haben ihn auf den Geschmack gebracht.

1999 erscheint sein Debütalbum „Trodin On“ unter dem Pseudonym Gentleman. Seine abwechslungsreichen Reggae-Rhythmen und sonnigen Melodien orientieren sich an Bob Marley und schlagen auch in Jamaika ein. In Kingston tritt Gentleman vor 30.000 Rastafaris auf.

Gemeinsam mit der Far East Band, in der Gentlemans Frau Tamika im Background singt, nimmt er 2003 sein erstes Live-Album auf: „Gentleman & The Far East Band Live“. Seine Tourneen führen ihn regelmäßig nach Spanien, Portugal und Frankreich, Skandinavien, Amerika und Afrika.

Ein Jahr darauf gelingt ihm mit dem Studioalbum „Confidence“ erstmals ein Nummer-Eins-Erfolg in Deutschland und Österreich.

2005 tritt Gentleman gemeinsam mit Mamadee bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest für sein Bundesland NRW an, belegt dort jedoch den letzten Platz. Im selben Jahr wird er nacheinander mit dem Echo, dem Comet und der Eins-Live-Krone ausgezeichnet.

2010 veröffentlicht der Reggae-sänger „Diversity“. Sein erstes Major-Album unter dem Dach von Universal erobert auf Anhieb die Spitze der deutschen Charts.

Gentleman ist Vater zweier Kinder und lebt in Köln und in Jamaika.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort