Es ist Zeit für eine biografische Erfrischung

Der Kunsthistoriker und inzwischen Ex-Galerist Joachim Blüher bricht seine Zelte in Bonn ab, um als Direktor auf dem "Schleudersitz" der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom Platz zu nehmen

Bonn. Seine Berufung zum Chef der Villa Massimo in Rom war eine handfeste Überraschung. Joachim Blüher (48), promovierter Kunsthistoriker mit Wohnsitz in Bonn und Galerie in Köln, ein Mann ohne ministerialen Stallgeruch und Vergangenheit als Kulturfunktionär, setzte sich durch in einem, wie man hört, hochkarätigen Mitbewerberfeld von 170 Aspiranten auf den Direktorensessel der Akademie.

Blüher traut man offensichtlich zu, den immer wieder in die Schlagzeilen geratenen kulturellen Brückenkopf in Rom neu zu organisieren. Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin lobte jedenfalls bei der Vorstellung des in Uelzen geborenen Wahlbonners dessen "hohen künstlerischen Sachverstand" und verdienstreichen Umgang mit jungen Künstlern.

In diesen Tagen bricht Blüher seine Zelte in Bonn ab, um sich in Rom auf seinen Direktorenjob vorzubereiten. Blühers Frau, die Bonner Schmuck-Galeristin Birgitta Knauth, und die beiden Kinder folgen in den nächsten Wochen.

Und am 1. Februar 2003 kommen die ersten Stipendiaten in die für mehr als fünf Millionen Euro frisch renovierte Villa. Ausnahmsweise werden elf statt der üblichen zehn Stipendiaten für ein Jahr nach Rom reisen: die Musiker Johannes Kalitzke und Stefan Streich, die Architektin Imke Woelk, der Schriftsteller Thomas Kunst sowie die bildenden Künstler Volkhard Kempter, Matthias Hoch, Roland Boden, Rainer Splitt, Silke Schatz, Leni Hoffmann und Thomas Demand.

Die 1910 zwecks deutsch-italienischer Künstler-Begegnungen gegründete, Ende 1999 für eine Generalsanierung geschlossene Institution wurde aber auch konzeptionell auf einen neuen Stand gebracht. Gelockert wurde beispielsweise die Altersbegrenzung von 40 Jahren.

In Zukunft sollen "vorrangig jüngere, in ihrer Entwicklung noch offene Künstler" in Betracht kommen, sieht die Neukonzeption vor. Auch das kleinliche Proporzdenken nach Kunstsparten und den Ländern, die Stipendiaten vorschlagen, gehört der Vergangenheit an: Das Stipendium soll eine "Spitzenförderung sein für Künstlerinnen und Künstler höchster Qualität".

Neu geregelt wurden auch die Regularien für die beiden Studios der Casa Baldi in Olevano Romano. Noch nicht beendet aber ist die Diskussion über die Höhe des Stipendiums, die bisher von vorschlagendem Bundesland zu vorschlagendem Bundesland schwankte, in Zukunft aber einheitlich ausfallen soll.

Für Blüher spielen für die Zukunft der Villa Massimo Transparenz und der Kontakt nach außen eine zentrale Rolle. So will er etwa einen Freundeskreis der Akademie gründen. Ein Jahrbuch in Gestalt eines Künstlerbuches soll einerseits die Flut einzelner Publikationen ersetzen, andererseits "den Geist der Villa" (Blüher) spürbar werden lassen.

Ein Gästeprogramm - dafür stehen zwei Ateliers zur Verfügung - wird den Austausch intensivieren, soll außerdem "Beistand und Perspektive für die Stipendiaten" bieten. "Die Akademie als geistiger Ort, die Villa als geistiges Refugium", schweben Blüher vor, wohl wissend, dass dabei die Inhalte stimmen müssen.

"Früher hatte man einen Ort, der Rest ergab sich dann", kritisiert Blüher. Früher, das ist die Zeit der Querelen und Skandale, der Klagen frustrierter, sogar traumatisierter Stipendiaten, die Zeit der Bundesrechnungshof-Berichte, die den jeweiligen Direktoren Geldverschwendung vorwarfen, ferner die Zeit der Grabenkriege, ob man die Mauern der Akademie nun niederreißen oder das Arkadien jenseits der Mauern konservieren solle.

"Mehr Kommunikation" wünscht sich der neue Akadiemiedirektor, auch auf der im Aufbau befindlichen Homepage. Außerdem fordert er eine solidere Vorbereitung der Stipendiaten auf Rom und die Villa und engere Kontakte zu den übrigen 41 internationalen Akademien in der Ewigen Stadt.

Dass diese zwar Antikenfreunden viel biete, ansonsten aber für Kulturschaffende des 21. Jahrhunderts ein eher enttäuschendes Erlebnis sei, wird zwar gerne kolportiert, der Kunsthistoriker Blüher teilt diese Einschätzung aber nicht.

Seit dem Heiligen Jahr "hat sich enorm viel getan", korrigiert er. Künstler suchen außerdem in Rom etwas anderes als etwa in den Metropolen Paris oder New York: eine "biografische Erfrischung". "Maß finden in einer Zeit, in der sonst Maßlosigkeit herrscht", das könne man von der Antike - und nur in Rom - lernen.

Viel Zeit für Muße wird Blüher in Rom nicht finden, denn der Chefsessel der Villa Massimo ist, das weiß auch er, ein Schleudersitz. Noch jeder der Direktoren in der fast hunderjährigen Geschichte der Villa hat die römische Kulturschmiede - mit welchen Vorzeichen auch immer - vorzeitig verlassen.

Blüher, der am 1. September für "vorerst" fünf Jahre antritt, ist gewappnet, vertraut auf die unter anderem beim Kölner Spitzen-Galeristen Michael Werner, später im eigenen Kunstraum erworbenen Managerqualitäten, auf Fachwissen, Kontakte und das Wohlwollen der Politik.

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