Eine Frau mit vielen Gesichtern

Nach Fontanes Roman und Fassbinders Film kann man das traurige Schicksal der "Effi Briest" jetzt im Forum der Bundeskunsthalle erleben

Bonn. "Das ist ein weites Feld", pflegt Effi Briests Vater in Theodor Fontanes Roman gern zu sagen. Und irgendwie könnte dieser berühmte Satz auch seine berechtigte Anwendung auf die musikdramatische Adaption des "Effi Briest"-Romans von Iris ter Schiphorst und Helmuth Oehring finden, der jetzt als Beitrag der "Bonn Chance!"-Reihe der Oper im Forum der ausverkauften Bundeskunsthalle uraufgeführt wurde. Denn der Versuch geht über eine schlichte Dramatisierung eines Romanstoffs weit hinaus.

Die wohl berühmteste Ehebruchsgeschichte der deutschen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts wird auf der Bühne zwar ziemlich linear und - mit Ausnahme einiger Lied- und Chanson-Zitate - mit Fontanes Originaltexten erzählt, doch zugleich auch sehr verfremdet. In der Garten-Szene des ersten Akts sieht man Mutter Briest und Effi, wie sie in Gondeln schaukelnd miteinander reden. Ingrid Caven übernimmt den Part der Mutter, die jüngere Salome Kammer den der Tochter, doch diese Rollenzuordnung ist nicht von Bestand, sie wechselt permanenent, weshalb man auf der Besetzungsliste den Namen Effi ebenso vergeblich sucht wie diejenigen ihres Gatten Instetten oder ihres Liebhabers Major von Crampas. Es werden lediglich die sehr allgemein gehaltenen Bezeichnungen Stimme, Vokal, Gebärdensolistin und Sopran angegeben.

Diese Verfremdung bringt dem Publikum die Figuren nicht näher, als es der Roman vermag. Die gesellschaftlichen Konventionen, die zum tragischen Ausgang der Geschichte führen, sind bei Fontane natürlich präziser beschrieben. Die Vorlage scheint vielmehr eine Metapher für das zu sein, was die Autoren mit der Gattung Oper anstellen: Sie hinterfragen Konventionen - und missachten sie. Schon die Arbeitsteilung beim Komponieren ist ein radikaler Bruch mit der E-musikalischen Tradition, ebenso die Tatsache, dass die Adaption keineswegs aufs Repertoire schielt. Sie ist ein im sprichwörtlichen Sinne einmaliges Gesamtkunstwerk, das den Ausführenden gleichsam auf den Leib geschrieben wurde. Wie sollte man eine Alternativbesetzung für eine Künstlerin wie die grandiose Ingrid Caven finden, die in dieser Inszenierung ihren individuellen und mitunter schnoddrig-exaltiert wirkenden Weg zwischen Schauspielerin und Chansonsängerin geht (für sie zitieren die Autoren bekannte Klassiker des Genres wie "La mer")? Wie sollte man Ersatz finden für Salome Kammer, die einen ganz eigenen Zugang zu ihrer Stimme gefunden hat, wie für den Sopranisten Arno Raunig, dessen glockenreine Stimme beispiellos ist? Und eine andere theatererfahrene, gehörlose Gebärdensolistin als Christina Schönfeld, die schon oft mit dem als Sohn gehörloser Eltern aufgewachsenen Oehring zusammengearbeitet hat, dürfte auch nur schwierig aufzutreiben sein.

Die Musik bewegt sich überwiegend in einem ruhigen Puls, ist aber zu gewaltigen Fortissimo-Steigerungen fähig. Das von dem Dirigenten Wolfgang Ott sensibel ausbalancierte Klangbild wird von tiefen Instrumenten geprägt: Posaunen, Celli und Kontrabässe, dazu ein massiver Einsatz von Schlagzeug, eine elektronische Verstärkeranlage sorgt für zum Teil berückende Raumklangwirkungen.

Das in den Farben Rot und Blau gehaltene Bühnenbild, das die monochrom gekleideten und angemalten Musiker der fabelhaften Musikfabrik NRW in der Bühnenmitte mit einschließt, verweist vielleicht noch am deutlichsten auf Fontanes Roman. Die Schaukeln erinnern an die idyllische Kindheit Effis, eine Treppenlandschaft an die repräsentative Funktion der Architektur aristokratisch-großbürgerlichen Prachtbauten. Ulrike Ottinger hat sie entworfen und auch Regie geführt. Sie gehörte als Filmemacherin dem Umfeld Rainer Werner Fassbinders an. Von ihm gibt es bekanntlich eine Effi-Briest-Verfilmung mit Hanna Schygulla in der Titelrolle, die in einigen Wandprojektionen auch zitiert wird. Dass Ingrid Caven mit Fassbinder verheiratet und seine Muse war, macht das Beziehungsgeflecht nur noch dichter. Doch hier sollte man es mit dem alten Briest halten, der am Ende des Romans sagt: "Ach Luise, lass . . . das ist ein zu weites Feld."

Weitere Vorstellungen: 13., 14. und 15. März. Karten unter anderem in den Zweigstellen des General-Anzeigers.

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