Lange Beethovennacht Dirk Kaftan dirigiert die Neunte in der Bonner Oper

Bonn · Krieg und Frieden: Das Beethoven Orchester erfreut sein Publikum mit einem kontrastreichen Programm aus Schlachten- und Kammermusik und der Ode "An die Freude".

 „Dokument der Menschlichkeit“: Dirk Kaftan dirigiert im Opernhaus Beethovens neunte Sinfonie.

„Dokument der Menschlichkeit“: Dirk Kaftan dirigiert im Opernhaus Beethovens neunte Sinfonie.

Foto: Felix von Hagen

Seinen größten Publikumserfolg zu Lebzeiten feierte Ludwig van Beethoven mit einem Werk, das heute nur noch sehr selten und wenn überhaupt, dann dann auch nicht ohne Bauchgrimmen aufgeführt wird. Denn „Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria“ ist eine krachende Schlachtenmusik, affirmativ bis zum siegreichen Ende. Ein kurioses, wenn nicht vergiftetes Geburtstagsständchen für den Komponisten der menschheitsumarmenden neunten Sinfonie also, das ihm vom Beethoven Orchester Bonn BOB) in der langen Beethovennacht dargebracht wurde?

Doch Generalmusikdirektor Dirk Kaftan stellt sich dem in „Wellingtons Sieg“ martialisch artikulierten, aber gern unter den Tisch gekehrten Aspekt von Beethovens Schaffen auf dramaturgisch kluge Weise. Nicht, indem er ihn umdeutend vereinnahmt, sondern ihn in einen anderen Kontext stellt: Am Ende des Konzertes am Sonntagabend erklang als Hauptwerk und ideologischer Kontrapunkt die neunte Sinfonie. Ein, wie Kaftan sie in einer kurzen Ansprache ans Publikum nannte, „Dokument der Menschlichkeit“.

Überzeugend war es auch, den Abend mit einer Auswahl aus Mauricio Kagels ironischen „Märschen, um den Sieg zu verfehlen“ zu beginnen. Wunderbare, rhythmische Stolperstücke, die wie Oskar Matzeraths Blechtrommel geeignet sind, jeden soldatischen Gleichschritt aus dem Tritt zu bringen. Die Beschallung des Publikums mit Trommeln und Trompeten erfolgte zum Teil von den Rängen und durch offene Türen hindurch, ein Surroundsound, der dann wieder zum Beethoven'schen Schlachtengemälde passte.

Man kann sich gut vorstellen, dass dieses nun vom Beethoven Orchester mit englischen und französischen Trommeln und „Rule Britannia“-Zitaten wirkungsvoll inszenierte Klangspektakel bei der Uraufführung im Dezember 1813 gut ankam. „Einmal im Leben hatte er es verstanden, aktuell zu sein“, kommentierte Beethoven-Biograf Paul Bekker das Werk, das den Sieg der von Wellington angeführten britischen Truppen über die napoleonischen Gegner bei Vitoria in Spanien im Juni 1813 feiert. Auch wenn Beethoven selbst das Werk überaus schätzte, ist es der neunten Sinfonie kompositorisch fraglos unterlegen. Hier schärfte Kaftan die Kontraste, die bald nach dem geheimnisvollen Pianissomo mit einem Tutti-Schlag im Fortissimo aufgerissen werden. Die musikalische Entwicklung erlebte so im ersten Satz eine enorme Spannungskurve, der an Stellen wie Doppelfugato der Durchführung immense Ausdrucksdimensionen freisetzte.

Die Pauke ist die treibende Kraft

Im Scherzo ist die Pauke die buchstäblich treibende Kraft, die hier bei dem von Kaftan vorgegebenen hohen Gesamttempo auch überaus effektvoll zum Einsatz kam. Im Adagio erblühten die melodischen Bögen geradezu andächtig, gleichviel, ob Holzbläser, zweite oder erste Violinen sie anführten. Um im Finale die Schiller-Vertonung „An die Freude“ anzustimmen, war eigens die Tokyo Oratorio Society (Einstudierung: Hiroshi Gunji und Tomoya Watanabe) angereist. Einerseits, um den Philharmonischen Chor der Stadt Bonn (Einstudierung: Paul Krämer) zu unterstützen, andererseits, um an die japanische Erstaufführung durch deutsche Kriegsgefangene vor hundert Jahren zu erinnern, deren Echo in dem Land bis heute unüberhörbar nachhallt. Sie absolvierten den anspruchsvollen, bis an stimmliche Grenzen führenden Chorpart auf beeindruckende Weise. Ebenso die Solisten. Bassist Randall Jakobsh begann mit wunderbar fließendem Gesang, hatte anfangs nur in der Höhe ein bisschen Probleme, Tenor Vincent Wolfsteiner ließ mit strahlendem Tenor froh die Sonnen fliegen, auch Inga-Britt Andersson (Sopran) und Dshamilja Kaiser wussten zu begeistern. Der Applaus ging rasch in Standing Ovations über. Gleichsam als Ruheinsel zwischen dem Kriegsgetümmel von „Wellingtons Sieg“ und dem Friedensjubel der Neunten spielte das Beethoven Trio Bonn mit dem Geiger und BOB-Konzertmeister Mikhail Ovrutsky, dem BOB-Solocellisten Grigory Alumyan sowie dem Pianisten Jinsang Lee Beethovens „Geistertrio“ op. 70 Nr. 1 in Es-Dur, dessen Rahmensätze sie punktgenau und virtuos zu Gehör brachten. Die etwas mysteriös-gespenstische Atmosphäre des langsamen Satzes arbeiteten sie überaus sensibel heraus. Als Zugabe fürs begeisterte Publikum spielten sie ein Scherzo von Felix Mendelssohn Bartholdy.

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