Interview mit Nike Wagner Die künftige Beethovenfest-Intendantin über Beethoven, Pläne und Projekte

Bonn · Nike Wagner, Urenkelin des Komponisten Richard Wagner, übernimmt am 1. Januar 2014 die Intendanz des Beethovenfestes. Am Donnerstag hat sie ihren Vertrag im Alten Rathaus der Stadt Bonn unterschrieben. Anschließend stellte sie sich den Fragen von Bernhard Hartmann und Dietmar Kanthak.

Wie viel Bedenkzeit haben Sie benötigt, nachdem Sie das Angebot erhielten, die Intendanz des Beethovenfestes zu übernehmen?
Nike Wagner: Das musste alles relativ schnell gehen. Ich habe mich gefragt, was ich beitragen kann, wie man mit Beethoven heute umgehen kann, habe mir konzeptionelle Gedanken gemacht.

Aber es hat Sie schon spontan gereizt?
Wagner: Beethoven strahlt so ungeheuer viel aus und ist obendrein ethisch unantastbar, als Revolutionär, als Avantgardist, als Menschenrechtler. Die Komponisten des 19. Jahrhunderts haben ihn alle geliebt, die des 20. und 21. Jahrhunderts tun es immer noch. Und es gibt nicht diese charakterlichen Defizite wie bei Richard Wagner. Das ist doch ganz wunderbar!

Ein Mensch mit Ecken und Kanten, den man dennoch ohne Vorbehalte lieben kann?
Wagner: Er hat selbst darunter gelitten, als Menschenfeind wahrgenommen zu werden, wie er im Heiligenstätter Testament schreibt. Ich habe schon als Kind rasend gern Beethoven-Biografien gelesen, so richtige Kitsch-Bücher. Ich konnte mir immer sehr gut vorstellen, wie Beethoven laut brummend durch die Wiener Straßen gegangen ist und seine Wirtinnen beleidigt hat. Mein Vater sagte immer: "Wenn ich Beethoven höre, dann strafft sich mein Rücken." Beethoven hat ja immer einen ethischen Beigeschmack, was gerade unserer Zeit ganz gut- tun könnte.

Das Beethovenfest, wie es heute dasteht, ist ja sehr erfolgreich. Auch was die Auslastungszahlen angeht.
Wagner: Das Beethovenfest ist hervorragend aufgestellt.

Aber Sie stehen auch für eigene Akzente. Wo würden Sie Erneuerungen ansetzen?
Wagner: Ich würde doch stärker in die zeitgenössische Musik und in die zeitgenössischen Künste gehen. Auch stärker interdisziplinär arbeiten, Verknüpfungen mit den Institutionen der Stadt, Orchester, Oper, Schauspiel, aber auch mit der Universität und den Wissenschaftsinstituten anstreben.

Und wie wollen Sie das Beethoven Orchester positionieren?
Wagner: In Weimar habe ich mit der Staatskapelle sehr gute Erfahrungen gemacht, wenn ich für das Orchester einen sehr renommierten Dirigenten eingeladen habe. Das hatte immer glänzende Resultate. Natürlich wird aber auch der Generalmusikdirektor eine wesentliche Rolle spielen.

Ein weiterer Partner für Sie wäre das Beethoven-Haus...
Wagner: Unbedingt! Der Kammermusiksaal ist ein Juwel. Und es kommen bereits die wunderbarsten Künstler - mein Wunsch wäre es, stärker zu kooperieren und ein gemeinsames Programm zur Festivalzeit zu erstellen.

Ein Schwerpunkt beim Beethovenfest ist die Jugendarbeit. Stichworte Schülermanager, Sistema-Gastorchester aus Venezuela und der Orchestercampus der Deutschen Welle. Werden Sie in dieser Richtung weitermachen?
Wagner: Ich möchte das Festival sehen, das sich heutzutage erlauben könnte, ohne Jugendarbeit auszukommen. Wir übernehmen da offenbar bildungspolitische Aufgaben, die eigentlich in andere Bereiche gehören. Selbstverständlich behalte ich die "Education"- Schiene bei, die im Team des Beethovenfestes bereits in besten Händen ist. Denken Sie nur an das Schülermanager-Projekt und die vielen Workshops.

Die Deutsche Welle überträgt als Medienpartner Konzerte in alle Welt...
Wagner: Und Beethoven ist ein exzellenter Botschafter für Deutschland. Einen besseren gibt es gar nicht, außer Bach vielleicht. Auch deshalb liegt mir die Partnerschaft zur Deutschen Welle sehr am Herzen.

Die Musikwelt begeht 2020 den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens. Haben Sie schon konkrete Vorstellungen, wie man das in Bonn feiern kann?
Wagner: Man muss Projektschienen anlegen, die auf 2020 zulaufen. Zum Beispiel werde ich zeitgenössische Komponisten nach ihrem Lieblings-Beethoven fragen. Sie erhalten zugleich den Auftrag, ein neues Werk zu komponieren, das sich damit auseinandersetzt. Die so über die Jahre entstandenen neuen Werke werden dann gebündelt und zur Hommage 2020 sämtlich aufgeführt. Die Frage ist aber doch: Wodurch werden wir uns von den Jubiläumsprogrammen der anderen Städte unterscheiden? Die großen Zyklen und Orchesterwerke werden ja überall gespielt. Sie können sich vorstellen, was allein in Wien los sein wird. Was im Gedächtnis geblieben ist von früheren Jubiläumsjahren, sind doch die experimentellen Dinge. Zum Beispiel der Film "Ludwig van" von Mauricio Kagel.

Wien könnte aber auch Partner sein?
Wagner: Muss Partner sein. Natürlich habe ich Kooperationen mit Wien im Sinn. Ausstellungen mit der Nationalbibliothek etwa oder Konzerte mit den Wiener Philharmonikern - wenn es denn das Budget erlaubt.

Wie entscheidend ist eine Realisierung des Festspielhauses im Jahr 2020 für Sie?
Wagner: Ein Festspielhaus wäre notwendig und wunderbar. Aber bitte keine Elbphilharmonie. Dass ja der Betrieb selbst schon durch den Bund mitfinanziert wird, ist ein sehr positives Signal. Nun müssen wir nur noch - à la Richard Wagner - einen Ludwig II. von Bayern finden...

Das Beethovenfest hat einen Etat von 5,1 Millionen Euro, ein Drittel davon sind Sponsorengelder. Wie schätzen Sie das Klima dafür ein?
Wagner: Ich habe ein sehr schönes Gespräch mit Frau Schmiel gehabt. Sie wird mir helfen, in die Gespräche mit den Sponsoren einzutreten. Das Beethovenfest hilft allen - auch wirtschaftlich. Wenn schon nicht Hauptstadt, dann doch wenigstens ein bisschen Kulturhauptstadt. Beethoven wird uns dazu verhelfen.

Sie haben sich in der Vergangenheit häufig in die Diskussion um die Bayreuther Festspiele eingeschaltet, sei es als Kritikerin oder als Bewerberin. Werden Sie das in Zukunft auch weiterhin tun?
Wagner: Nein, ich werde mich nicht mehr bewerben. Das Kapitel ist für mich abgeschlossen.

Sie haben lange das "Pèlerinages" Kunstfest Weimar geleitet. Worauf sind Sie stolz, und was hätten Sie gern noch erreicht oder verwirklicht?
Wagner: Ich habe weitgehend realisiert, was ich realisieren wollte, auch wenn der Umfang aus finanziellen Gründen stärker schrumpfen musste. Das Konzept Mehrsparten-Festival mit Schwerpunkt auf Musik hat sich bewährt. Auch der Vorwurf, das Festival sei zu elitär, hat aufgehört. Das werte ich als Erfolg. Kunst ist nun einmal elitär. Was all die möglichen leichteren Formen von Unterhaltung nicht ausschließt.

Wie wichtig sind Ihnen Auslastungszahlen?
Wagner: Das muss mir wichtig sein, Kunst ist von der Wirtschaft nicht zu trennen. Aber es muss auch solche Veranstaltungen geben können, wo vielleicht nur wenige Leute hinfinden werden. Ich werde aber immer den Kunststandpunkt vertreten gegen die bei den Politikern so beliebte "Quote".

Sie leben in Wien?
Wagner: Seit mehr als 30 Jahren. Aber man muss dort wohnen, wo man sein Festival macht. Ich habe auch in Weimar einen Wohnsitz.

Sie werden also auch in Bonn wohnen?
Wagner: Ja, selbstverständlich.

Der kulturpolitische Kontext in Bonn ist geprägt durch Kürzungen und Konflikte zwischen Sport und Kultur. Wie bewerten Sie die Situation?
Wagner: Wie die Kulturpolitik hier läuft, kann ich noch nicht bewerten. Aber mit Kürzungen hat heute jeder Kulturmensch zu tun. Vielleicht hilft aber der Name Wagner, ein Vertrauenslabel. Den werde ich versuchen fruchtbar zu machen, etwa bei Sponsoren. Das hat bisher ganz gut funktioniert.

Würden Sie sich irgendwann in die tagespolitische Diskussion einmischen?
Wagner: Wenn Sie meine Interessen schädigt, dann ganz sicher.

Wie wichtig ist Ihnen persönlich die Verbindung Ihres Ururgroßvaters Liszt zum Beethovenfest?
Wagner: Sie ist eine einzige Freude. Die Verehrung von Liszt und von Wagner für Beethoven gibt mir ein gutes, warmes Gefühl. Ich finde es so herrlich, dass Liszt hier den Bonnern das Denkmal finanziert hat. Das ist typisch für ihn: immer generös. Er wusste, was Beethoven für die Stadt bedeuten musste.

Wie viele Ihrer Ideen wird man schon 2014 erkennen können?
Wagner: 2014, das bin nicht ich! Ich bin aber dankbar, dass es so gut vorbereitet ist. Das erste Beethovenfest, das wirklich meine Handschrift trägt, wird 2015 sein.

Zur Person

Die in Bayreuth aufgewachsene Nike Wagner (68) ist Ururenkelin des Komponisten Franz Liszt, Urenkelin von Richard Wagner und Tochter Wieland Wagners. Sie studierte Musik-, Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin, Chicago, Paris und Wien. Seit 1975 arbeitet Nike Wagner als freiberufliche Kulturwissenschaftlerin und wirkt an internationalen Symposien und Kolloquien mit. Seit 2004 ist Nike Wagner künstlerische Leiterin von "Pèlerinages" Kunstfest Weimar. Das Beethovenfest wird sie ab 2014 leiten.

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