Inszenierung von "Jeder stirbt für sich allein" Die Fallada-Premiere in den Bad Godesberger Kammerspielen

Bad Godesberg · Effektübervoll: Sandra Strunz inszeniert „Jeder stirbt für sich allein“ in den Kammerspielen. Der Theaterabend könnte kürzer sein und konzentrierter. Dennoch gibt es einige schauspielerischen Glanzleistungen.

 Widerstand in blutigen Zeiten: Szene mit (von links) Johanna Falckner, Alois Reinhardt, Matthias Breitenbach und Wilhelm Eilers.

Widerstand in blutigen Zeiten: Szene mit (von links) Johanna Falckner, Alois Reinhardt, Matthias Breitenbach und Wilhelm Eilers.

Foto: Thilo Beu

Wer die Taschenbuchausgabe von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ kauft, muss sich durch knapp 700 Seiten lesen. Aus dem 1948 erschienenen, wichtigen Buch über den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus haben Peter Zadek und Jérôme Savary 1981 in Berlin eine mehr als fünfstündige Revue gemacht: mit Transvestiten und einem Zappelphilipp-Hitler. „Ein Hitler zum Hinlangen, ein Hitler zum Amüsement“, notierte der Kritiker Georg Hensel. „Wir haben ihn hinter uns: Er hat ein Engagement am Stadttheater.“

Hitler kommt in Sandra Strunz' Inszenierung in den Kammerspielen nicht vor. Strunz hat mit Viola Hasselberg eine Spielfassung erarbeitet, die inklusive Pause drei Stunden dauert. Die Regisseurin geht nicht so weit wie Zadek und Savary, aber auch sie verschmäht weitgehend altmodische Kammerspiel-Emotionalität. Strunz lässt die Musiker Karsten und Rainer Süßmilch elegische Töne anschlagen, bringt Mozart und Horst-Wessel-Lied, erfindet groteske szenische Überspitzungen und addiert tanztheaterhafte Miniaturen. Figuren erscheinen wie aufgezogene Sprechpuppen, ein anderes mal wie Zombies aus Michael Jacksons „Thriller“-Video. Männer treten in Frauenkleidern auf, ein Chor reproduziert Falladas Zeilen. Die Schauspieler setzen Masken auf oder entwickeln Übermenschenposen.

Das szenische Verfahren birgt eine Gefahr. Fallada erzählt die Geschichte von Otto und Anna Quangel. Nach dem „Heldentod“ des Sohnes Otto schreibt das Ehepaar Postkarten mit Texten gegen das Nazi-Regime: ein Akt des Widerstands von alarmierender Aussichtslosigkeit, aber existenziell unverzichtbar für die Quangels. Das Ehepaar wird denunziert und zum Tode verurteilt.

Zu Herzen gehende Bilder und Längen

Sandra Strunz' effektübervoller Zugang zum Kern des Romans baut Distanz zwischen Theaterfiguren und Publikum auf. Die Mittel dienen häufig nicht dem Zweck, sondern sind sich selbst genug. Beispiel Anna Quangel (Sylvana Krappatsch). Ihr Mann (Matthias Breitenbach) trägt sie immer wieder herum wie eine große Puppe. Krappatsch bleibt dann fatalerweise drei Stunden lang so leblos wie ein Spielzeug. Kein sich dem Publikum mitteilendes Gefühl. Dafür Gezappel und Geschrei.

Auf Sabine Kohlstedts origineller Bühne steht ein kreisrundes Glashaus mit vielen Fenstern, aus denen es für manche Figuren kein Entrinnen gibt, es sei denn durch Mord oder Selbstmord. In dieser Welt behauptet sich Breitenbachs Otto, der seinen dilettantisch angelegten Widerstand auf magische Weise wie selbstverständlich erscheinen lässt. Der Mann beglaubigt und reflektiert das große Thema des Abends: Wie überleben, wie auf Unrecht reagieren in totalitären Verhältnissen, wie seine Würde als Mensch bewahren?

Der Theaterabend könnte kürzer sein und konzentrierter. So konkurrieren Längen und pantomimischer Leerlauf mit schauspielerischen Glanzlichtern. Alois Reinhardt mag als Obergruppenführer Prall eine monströse Karikatur sein, aber solch einen Mann sieht man selten: ein blutrünstiges Reptil, ein über Leichen gehender SS-Proll. Wilhelm Eilers, der wie die meisten seiner Kollegen in mehreren Rollen zu sehen ist, hat einen starken Auftritt als Kommissar Escherisch, dessen Gewissen von seiner Feigheit in Schach gehalten wird. Daniel Gawlowski überzeugt als sinistrer SS-Mann, Wilhelm Eilers als Persicke, Parteiaufsteiger im „Sieg Heil“-Rausch. Holger Kraft führt als Karl vor Augen, wie sich Lebens- und Widerstandsperspektive mit Frau und Kind verändern können. Johanna Falckner lässt als Trudel und in der Rolle der Eva Kluge emotionalen Überdruck auf furiose Weise ab. Rainer Süßmilch gibt den kleinen Gauner Enno Kluge als anrührenden Verlierer.

Süßmilchs Bruder Karsten beendet sein Lied vom Glücklichsein mit Schluchzern und Tränen. Ein zu Herzen gehendes Bild.

Die nächsten Aufführungen: 28. März, 13., 21., 26. und 29. April. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort