Bonner Kunstverein Die Artothek stellt Neuerwerbungen vor

BONN · Ende vergangenen Jahres, da überflügelte sich der heillos überhitzte Kunstmarkt einmal wieder mit Auktions- und Verkaufserlösen, schrieb man sich die Finger wund über Rekorde, das teuerste Bild eines noch lebenden Künstlers, den teuersten Gerhard Richter aller Zeiten...

 Schöpfung und Zerstörung: Katharina Sieverding kombiniert in "Weltlinie 1968-2013 # 9A" Nasa-Bilder der Sonne mit einem Foto des Hiroshima-Bombers "Enola Gay".

Schöpfung und Zerstörung: Katharina Sieverding kombiniert in "Weltlinie 1968-2013 # 9A" Nasa-Bilder der Sonne mit einem Foto des Hiroshima-Bombers "Enola Gay".

Foto: Artothek

Da erschien in der FAZ ein leicht überheblicher Text über die Jahresgaben der Kunstvereine mit dem Titel "Hier gibt's Trost im Diesseits und im Jenseits" und der These, dass so mancher Kunstverein offenbar mit Klassikern auf Nummer sicher gehe. Das Wort "bodenständig" fiel.

Otto Piene formte und brannte eine Keramik für Düsseldorf, Hannover bot Dieter Roth an, der Dortmunder Kunstverein K.O. Götz - und der Bonner Kunstverein bot Katharina Sieverding an. Ihr Druck "Weltlinie 1968-2013 # 9 A" erinnert nicht nur an eine frühe politische Phase der Foto- und Performancekünstlerin, sondern auch an ihre große Ausstellung "Weltlinie 1968-2013" im Museum Schloss Moyland.

Das Attribut "bodenständig" greift hier nicht - wie überhaupt das Jahresgaben-Angebot in Bonn durchaus experimentell angelegt ist: Das Blatt mutet erschreckend aktuell an, indem es Nasa-Fotografien von der Sonne aus Sieverdings Projektion "Die Sonne um Mitternacht schauen" mit dem "Enola Gay"-Bomber aus ihrer Serie "Kontinentalkern" kombiniert. "Enola Gay" hieß der B-29-Bomber, der die erste Atombombe mit dem zynisch verniedlichenden Namen "Little Boy" am 6. August 1945 auf Hiroshima abwarf.

Wer bei der Jahresgabenvorstellung im Kunstverein knapp bei Kasse war - das Blatt kostete für Sieverdings Maßstäbe günstige 1700 Euro - oder nicht schnell genug für die documenta-Künstlerin war, hat jetzt eine Chance, sich das Werk ins Wohnzimmer zu hängen. Denn die Bonner Artothek hat das Bild erworben und bringt es am Ende Mai in den Verleih.

Was sonst noch von der Arthoteks-Leiterin Elisabeth Wynhoff erworben wurde, lässt sich in einer Extra-Ausstellung begutachten. Man wird dabei alte Bekannte aus Kunstvereins-Ausstellungen oder -Jahresgaben wiedertreffen, aber auch ganz neue Positionen.

Der Brite Ed Atkins war 2012 im Kunstverein zu sehen, sein Bild für die Artothek vereinigt eine ungewöhnliche, in geometrischen Flächen geordnete Farbkomposition mit abstrakter Grafik und einem stark angeschnittenen menschlichen Profil. Hans-Jörg Mayer liefert ein rotzig hingeschriebenes "This ist not a Lovesong" ab, während Michaela Hanemann in ihrer Fotoarbeit die Anziehungskraft künstlicher Rosen auf Bienen thematisiert. Eine tiefschürfende Arbeit über die Suggestionskraft der bunten Warenwelt.

Der Titel "The endless Summer" verweist auf ein Naturplazebo, das sich von den Jahreszeiten abgekoppelt hat. Jenny Holzer, wie Sieverding Vertreterin einer kritischen, politischen Kunst, greift mit "Enhanced Techniques" ein brisantes Thema auf: Geschwärzte Flächen erinnern an Zensur, das Wort "Waterboard" weist auf eine von der US-Army im Golfkrieg angewandte Foltertechnik hin.

Ganz stark eine Arbeit des Bonners Werner Haypeter: Eine fragile, farblich extrem zurückgenommene Arbeit aus gerissenem und mehrfach gefaltetem Ingrespapier reizt zu Spekulationen über den Inhalt des zusammengefalteten "Kunstbriefs". Sichtbarer, aber nicht minder rätselhaft erscheint Gabriel Vormsteins Doppelporträt "Deux Visages". Mit Julia Wecks Filmende-Hinweis "Fin" aus der Serie "The End of Uncredited Cameos" wird der Besucher dieser kleinen Schau wieder in die Realität entlassen.

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