Ditib-Zeitschrift Dem Neo-Osmanismus verpflichtet

Bonn · Der Moscheeverband Ditib stellt seine deutsch-türkische Hauszeitschrift „Bülten“ in den Dienst der islamistisch-nationalistischen Kulturpolitik Ankaras.

 Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh.

Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh.

Foto: picture alliance / dpa

Seit Beginn des Jahres erscheint die Hauszeitschrift des türkischen Moscheeverbands Ditib „Bülten“ in komplett neuer Aufmachung. Sie ist neuerdings zweisprachig und widmet dem Gemeindeleben, bis dahin ihr fast ausschließliches Thema, nur wenig Raum. Den Hauptanteil der Monatsschrift bilden nun Beiträge mit religiösem – bis hin zu missionarischem – sowie historischem Charakter, wie etwa die Reihe „Wichtige Persönlichkeiten“. Sie wurde mit Ali Aziz Efendi eröffnet, dem ersten ständigen osmanischen Gesandten in Berlin, der dort 1798 verstarb und in der Stadt begraben liegt.

Der schmale Text scheint nicht von der Redaktion verfasst, sondern von der Internetseite des türkischen Religionsattachés in Berlin – Netzableger des türkischen Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) – übernommen worden zu sein. Das Bemerkenswerte an dem Kurzporträt des türkischen Diplomaten, Dichters und Mystikers ist der Schluss: Man verbindet Alis Zeit – König Friedrich Wilhelm III. ließ für den Toten eine Begräbnisstätte in der Tempelhofer Feldmark einrichten – übergangslos mit der heutigen, in der Nähe gelegenen Berliner Ditib-Sehitlik-Moschee. Mit diesem Zeitsprung wird die moderne Türkei geflissentlich übergangen.

Der Rückgriff auf die osmanische Zeit hat System. Mit Ausnahme des ersten Kalifen Abu Bakr und des berühmten Prophetengefährten Abu Dhar al-Ghifari sind die bislang von der Zeitschrift gewürdigten Persönlichkeiten direkt mit dieser Ära verknüpft. So wurde im Februar-Heft der albanischstämmige türkische Dichter Mehmet Akif Ersoy (1873 bis 1936) vorgestellt. Obwohl er vor allem als Verfasser der Nationalhymne der modernen türkischen Republik bekannt ist, war er ein entschiedener Gegner des Laizismus.

Das Blatt feiert ihn nicht nur vornehmlich als religiösen Schriftsteller und Koranausleger, sondern stilisiert ihn zum Opfer der damals „herrschenden Autokratie des Einparteiensystems“ – gemeint ist damit die kemalistische Herrschaft. Diese Formulierung wird von islamistischen Kreisen in der Türkei gerne verwendet; sie begegnet einem etwa auf der Facebookseite des AKP-Büros des Istanbuler Stadtteils Kadiköy.

Passend zum alljährlich im März begangenen türkischen Gedenktag an die Dardanellenschlacht, ehrte „Bülten“ den in dem Befreiungskrieg zum Einsatz gekommenen „sudanesisch-osmanischen Kämpfer“ Musa, der in der türkischsprachigen Fassung wohlgemerkt als „Mücahit“, sprich heiliger Krieger, bezeichnet wurde. Die ideologische Umrahmung lieferte hier, ganz im Sinne der von der AKP-Regierung energisch vorangetriebenen Islamisierung des Gedenkens an die Gallipoli-Schlacht, im Vorwort des Heftes der Ditib-Vorsitzende Nevzat Yasar Asikoglu, der zugleich auch Herausgeber von „Bülten“ ist: „In diesem Monat ereignete sich der errungene Sieg über die Dardanellen, den wir zum 101. Jahrestag alle gemeinsam begangen haben. Dieser Sieg ist eine der großen Auseinandersetzungen, an der unser Bewusstsein seinen Gipfel erreichte, als ein Volk gemeinsam aufzutreten. Denn die Liebe zur Heimat ist Teil des Glaubens und unsere Vorfahren haben ohne zu zweifeln ihr Leben dafür geopfert.“

Entsprechend wird der in der Türkei als „Der schwarze Musa“ bekannte Sudanese von der Redaktion als „ein im 20. Jahrhundert neu treibender Keim des dunkelhäutigen Bilal, des Muezzins des Propheten“, gepriesen. Diese Lesart ist für das Geschichtsbild türkischer Islamisten typisch, ebenso auch für den Neo-Osmanismus, wie er von der Partei Erdogans propagiert wird. So widmet sich denn auch das Mai-Heft Aksemseddin, dem Lehrer von Sultan Mehmet II., der als Bezwinger Konstantinopels in die osmanische Geschichte einging. Aksemseddin gilt in der türkischen Tradition als die treibende religiöse Kraft hinter dieser historischen Eroberung. Es bleibt freilich nicht unerwähnt, dass er nach der „Eroberung Istanbuls“ die Freitagspredigt in der Hagia Sophia hielt. Hier ist wohl nicht nur Osmanen-Nostalgie am Werk. Das türkische Diyanet, das den Ditib kontrolliert, hat bekanntlich die byzantinische Kirche – seit Jahrzehnten ein Museum – unlängst während des Ramadans als Moschee genutzt. Der Protest aus Athen blieb wirkungslos.

Es verwundert nicht, wenn dann in der Juni-Ausgabe zum diesjährigen islamischen Fastenmonat das Feiern des Ramadans im Osmanischen Reich in einem eigenen Beitrag verklärt wird, worin zu lesen ist: „Das erste Freitagsgebet zu Ramadan wurde in der Hagia Sophia verrichtet.“ An die osmanische Zeit knüpft auch der im Juli-Heft erschienene Artikel über den türkischen Mystiker und Dichter Yunus Emre (1240 bis 1321) an. Kulturpolitisch ist der Sufi-Dichter für die AKP-Regierung von größter Bedeutung, weshalb die türkischen Kulturinstitute im Ausland, die mittlerweile Niederlassungen in 37 Ländern haben, nach ihm benannt sind. Sie gelten als eines der Lieblingsprojekte von Präsident Erdogan, der solche Institute selbst einzuweihen pflegt.

Ein Forscherteam der Istanbuler Bilgi Universität gelangte 2012 in seiner Untersuchung über die Arbeit der Yunus-Emre-Institute zu dem Schluss, dass man dort einen unverkennbar islamistischen neoosmanischen Diskurs pflegt. Damit werde der Hegemonieanspruch, den die von der AKP regierte Türkei gegenüber den Ländern der Region erhebe, untermauert, wofür auch die türkischen Migrantengemeinden in Europa instrumentalisiert würden. Dieser Kurs ist nun auch in der Ditib-Zeitschrift seit ihrem Relaunch nicht zu übersehen. Die Unabhängigkeit von Ankara, auf die man bei dieser Organisation pocht, darf zumindest vor diesem Hintergrund bezweifelt werden.

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