Ältestes Videofestival Deutschlands Das bietet die 17. Bonner Videonale

Bonn · Die Bonner Videonale, Deutschlands ältestes Videofestival, geht in die 17. Runde: 29 Positionen sind ab 21. Februar im Kunstmuseum Bonn zu sehen. Ein viertägiges Festival widmet sich dem Motto „Refracted Realities“. Wir stellen einige Filme vor

Die Bilder im Film „Tiefenschärfe“ von Alex Gerbaulet und Mareike Bernien sind denkbar unspektakulär: Die Kamera streift an sauberen Fassaden in der Vorstadt vorbei, dreht eine Runde in properen, menschenleeren Hinterhöfen irgendwo in Deutschland. So sieht es jedenfalls aus.

Nach und nach lädt der Kommentar aus dem Off diese vermeintlich belanglosen Szenen auf, liefert Inhalte und Stimmungen, die die Reihe von Impressionen zu einer bestürzenden Reportage verdichten. Wir sind in Nürnberg, drei Menschen sind hier ermordet worden. Was wir sehen, sind die aufgeräumten Tatorte.

Was wir hören, die Geschichte einer unglaublichen Strategie der ermittelnden Beamten, die sich schon früh festlegen, die Taten seien im Milieu erfolgt, und alle Hinweise auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund ausblenden – das schreckliche Wort von den „Döner-Morden“ macht die Runde. „NSU lebt!“ steht an einer Häuserwand.

Der starke, unter die Haut gehende Film ist einer von 29 Beiträgen, die auf der Videonale vorgestellt werden und um den Videonale-Preis konkurrieren. Das „Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen“, wie es exakt heißt, geht in die 17. Runde.

1984 wurde das älteste Videokunstfestival Deutschlands in Bonn gegründet, seit 2012 leitet die Kunsthistorikerin Tasja Langenbach die im Zweijahresrhythmus veranstaltete Videonale, die aus einer mehrwöchigen Ausstellung im Kunstmuseum Bonn, einem Festival zu Beginn und einem breiten Rahmenprogramm mit etlichen Partnern des Videonale-Vereins besteht. Insgesamt 1136 Beiträge aus 66 Ländern wurden eingereicht. Eine Jury hat die 29 Finalisten für die Bonner Ausstellung ermittelt.

Das Videonale-Motto heißt „Gebrochene Wirklichkeiten“

Kommenden Mittwoch, 20. Februar, wird die Videonale.17 eröffnet. Das Motto lautet „Refracted Realities“, was „gebrochene Wirklichkeiten“ bedeutet und so von der Videonale erläutert wird: „'Refraktion' im übertragenen Sinn meint also ein kritisches Reflektieren über die Mittel und Wege der Sichtbarmachung und folglich die Option einer Reartikulation unserer Sicht auf die Dinge, wie sie sind, waren oder vermeintlich immer schon gewesen sind.“ Klingt gut.

Es wird viel geredet werden auf dieser Videonale – nicht nur in den Panels, Foren und Runden des viertägigen Festivals zu Beginn, sondern auch in vielen Filmen. Endlose Wortbotschaften – es scheint, als misstraue man der Aussagekraft von Bildern. Im Fall von „Tiefenschärfe“ ist das sehr sinnfällig und funktioniert perfekt.

Bei anderen Beiträgen wünschte man sich eine kleine Wortpause. Etwa in dem hochpoetischen „Jellyfish“ der in Berlin lebenden Ukrainerin Maryna Makarenko, die Körper im Wasser treiben und über Liebesthemen und Genderfragen, über das Begehren und die Selbstfindung philosophieren lässt – der Pool wird zur Couch des Psychoanalytikers.

Genderfragen, Politikthemen und Schlaglichter auf den Alltag in Indien wirft der in Neu-Delhi lebende Sohrab Hura mit einem atemberaubenden Bilder-Staccato auf – in seinem zwölf Minuten dauernde Bilderrausch „The Lost Head And The Bird“. „Breaking News“ und Schnappschüsse, Szenen voller Ekstase und Gewalt wechseln sich in diesem rasanten Puzzle bei aggressiver Musik ab. Ein ähnliches Feuerwerk optischer Eindrücke feuert der Wuppertaler Tobias Zielony ab.

Mit weiteren Künstlern war er Vertreter Deutschlands bei der Kunstbiennale Venedig 2015 und hat seit seit 2009 die Professur für Künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien Köln. „Maskirovka“ heißt sein Beitrag: 5400 Bilder jagt er in unter neun Minuten über die Mattscheibe. Pressefotos von Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew, Impressionen aus der Techno- und Queer-Szene vermischen sich zu einem wilden Strom von Eindrücken.

Impressionen aus zwei Parallelgesellschaften

Militärisches und Privates bringt die in London lebende Iranerin Maryam Tafakory zusammen. Die Bilder harter Rituale persischer Soldaten, ihre Gesten und Übungen in einer eingeschworenen Gemeinschaft, einer Parallelgesellschaft, stehen neben den intimen Impressionen eines Mädchens , das seine erste Menstruation erlebt. Die Sphären werden sich nie berühren. „Absent Wound“ überzeugt durch starke, intensive, fragmentarische Bilder.

Ganz nah am Videonale.17-Motto „Refracted Realities“ bewegt sich Andreas Bunte mit seinem Beitrag „Laboratory Life“, der das Sehen und die Wahrnehmung allgemein in einem quasi wissenschaftlichen Versuchsaufbau gründlich analysiert. Alltägliche Vorgänge werden aus ihrem ursprünglichen Rahmen gelöst und in einem laborähnlichen Raum unter die Beobachtung der Kamera gestellt.

Vor zwei Jahren präsentierte er die Arbeit bei den Skulptur-Projekten Münster. In einer Laborsituation stecken auch eine Handvoll Protagonisten in Stefan Panhans' exzellentem Film „Hostel“, der mit Elementen aus Reality-Shows und Doku-Soaps à la „Big Brother“ spielt. Im Hostel-Zimmer werden zwischen Stockbetten, Yogamatten und Gymnastikbällen große Themen der Menschheit ventiliert.

Oder wie die Kuratoren Edit Molnár und Marcel Schwierin bei der Präsentation von „Hostel“ im vergangenen Jahr im Edith-Russ-Haus schön formulierten: „Inmitten von zunehmendem Alltagsrassismus, Celebrity-Kult, Rollenklischees, postkolonialer Diversitätsproblematik und der Übermacht des Ökonomischen liefern sich fünf prekär und flexibel reisende Kulturarbeiterinnen und Kulturarbeiter unterschiedlicher Herkunft, dazu Apples Sprachassistentin Siri sowie mehrere Computerspiel-Avatare einen Spoken Word Battle.“ Hier wird wieder monströs viel gequatscht, die exzellente Kamera hat aber auch viel zu tun.

Als Forscher ist auch der in Berlin lebende Clemens von Wedemeyer mit seinem Beitrag „Transformation Szenario“ unterwegs: Er analysiert das Gruppen- oder Massenverhalten, inspiriert von dem Buch „Masse und Macht“ von Elias Canetti, das, dem Zeitgeist der 1960er folgend, die anonyme Masse in totalitären Staaten im Auge hatte. Heute, in Zeiten von Big Data ist es unmöglich, in der Masse unsichtbar zu sein. In seiner Arbeit setzt er unter anderem Lern-Software ein, die zu Übungs- und Analysezwecken von der Polizei genutzt wird, um das Verhalten von Menschenmassen bei Demonstrationen einschätzen zu lernen.

Während der in Berlin lebende Panhans in seinem exzellenten 80-Minuten-Film mit TV-Genres der Pop-Kultur spielt, greift die Französin Stéphanie Lagarde mit „Dépoliements“ wie Wedemeyer auf Trainigssoftware für die Polizei zurück. Diese virtuellen Bilder treffen auf Szenen, in denen sich Piloten der französischen Kunstflugstaffel konzentriert und mit geradezu choreografierten Gesten auf ihren Einsatz beim Nationalfeiertag vorbereiten.

Eine giftige Wolke aus Bengalos und Tränengas

Die akkurate Tricolore, die die Jets in den Pariser Himmel zeichnen, verwandelt sich in dem Demovideo in eine giftige Wolke aus Bengalos und Tränengas. Eine eindrückliche Metapher.

Mit betörenden Bildern entführt der taiwanesische Regisseur Su Hui-Yu das Videonale-Publikum in die 1990er Jahre und in die subversive Arbeit des Taiwan Walker Theaters. Mit Akteuren lässt er drei Produktionen der Bühne nachspielen, es entstehen statische, sehr poetische Bilder. Als Anreger fallen in „Walker“ die Namen des Choreographen Merce Cunningham und des Regisseurs Wim Wenders.

Gut unterwegs sind gegenwärtig Nina Fischer und Maroan el Sani, die zwischen ihrer Teilnahme beim 48. internationalen Filmfestival in Rotterdam und Präsentationen im Neuen Berliner Kunstverein und im Edith-Russ-Haus ihren Beitrag „Freedom of Movement“ bei der Bonner Videonale zeigen.

Es ist eine berührende, hochemotionale Dreikanal-Installation, die Momente des Marathon-Sieglaufs des Äthiopiers Abebe Bikila bei der Olympiade 1960 in Rom mit dem Auftritt einen Flüchtlingschores in der faschistischen Vorzeigestadt vor dem „Palazzo della Civiltà Italiana“ („Colosseo Quadrato“) verbindet. Auf dem dritten Monitor sind Mussolinis Sportbauten des „Foro Italico“ zu sehen. Ein großer Bogen von der Flüchtlings- bis zur Postkolonialismusdebatte.

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